Dienstag, 1. April 2014

Stadttheater Heilbronn - Vorstellungen beim "Stammtisch" (1984)


Der Theater-Spielplan 1984/85 wurde beim „Stammtisch“ vorgestellt


Erfolge – und ein Skandal?


„Insgesamt können wir zu­frieden sein. “ - So lautete ein vorläufiges Fazit des Verwaltungsdirektors am Heilbronner Stadttheater, Jürgen Frahm, beim Mai-Theater-Stamm tisch, einer allmonatlich ab­laufenden Veranstaltung des „Theaters Heilbronn". Seine Rechnung: In der vergangenen Spielzeit 1982/83 - der ersten im neuen Haus am Berliner Platz - hatte das Stadttheater rund 172.000 Besucher ge­zählt. Jetzt, das heißt Ende April 1984, zählte man schon 139.500 Besucher. Hochge­rechnet auf die Spielzeit 1983/84 würde das heißen:  185.000 Zuschauer, ein neuer Besu­cherrekord in Heilbronn.


Die Platzausnutzung im Gro­ßen Haus habe, so Frahm, in der laufenden Spielzeit bisher 89 Prozent betragen, in den Kammerspielen sogar 90,5 Pro­zent. Die Platzausnutzung bei einzelnen Stücken, laut Jürgen Frahm: „Beckett oder die Ehre Gottes" 84,7 Prozent, ,,Im wei­ßen Rössl" 99 Prozent, „Kri­stallklar" 93,5 Prozent und „Wie man was wird im Le­ben ..." 90 Prozent. Unver­kennbar sei im Kammertheater am Berliner Platz, so Frahm, der Hang der Zuschauer zum Boulevardtheater.


Die Eigeneinnahmen des Theaters Heilbronn hatten im Rechnungsjahr 1983 2,6 Mil­lionen Mark oder 27 Prozent des Theater-Haushalts betra­gen (Bundesdurchschnitt rund 12 Prozent). Die Stadt Heilbronn hatte dem Theaterbe­trieb mit 3,3 Millionen Mark unter die Arme gegriffen, der Anteil des Landes Baden-Württemberg lag bei 3,5 Mil­lionen Mark und der Landkreis Heilbronn konnte lediglich 20.000 Mark beisteuern.


Bis zum Ende der laufenden Spielzeit 83/84 wird es noch folgende Premieren am Heil­bronner Theater geben: Im ,,Großen Haus" am Berliner Platz inszeniert der Intendant Klaus Wagner Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan" (Premiere am 17. Mai 1984, 19:30 Uhr), und in den Kammerspielen wird am 23. Mai 1984 um 20 Uhr Frederico Garcia Lorcas „Und sie legen den Blumen Handschellen an", eine Gemeinschaftsregie der beteiligten Schauspieler, aufgeführt werden. Peter Lüdi ist der Regisseur der Farce von Philip Kings „Lauf doch nicht immer weg“, die am 2. Juni im Großen Haus Premiere haben wird. Das Stück soll auch in der kommenden Spielzeit am Heilbronner Theater zu sehen sein, ebenso wie die Erfolgs­inszenierung der laufenden Spielzeit „Das Weiße Rössl", eine Arbeit von Franz Winter.


Eröffnet wird die neue Spiel­zeit 1984/85 mit Tankred Dorsts „Merlin“. Inszenierung: Franz Winter. Der Wiener Re­gisseur und Burgschauspieler Winter soll in vier Stücken der kommenden Spielzeit Regie führen. Intendant Klaus Wag­ner will drei Stücke inszenie­ren. Außerdem sollen - so ist die Planung- die Regisseure Peter M. Preissler, Peter Lüdi und Matthias Gärtner wieder am Heilbronner Theater ar­beiten.


Der „Theater-Skandal“  der laufenden Saison, der Theater- Ball des Stadttheaters, scheint für die Theaterleitung kein „Reizthema" zu sein: „Wir können es uns nicht leisten, den Eintrittspreis für einen Theater-Ball zu subventionie­ren." - Achtzig Mark wird eine Eintrittskarte für den Ball am 19. Mai 1984 kosten. Darin ist die Teilnahme an einem „Schlemmerbuffet“ auf drei Etagen des Hauses beinhaltet.


Von den 648 Karten, die ins­gesamt 51.840 Mark einbringen werden, sollen laut Aus­kunft des Theaters bis zum Dienstag dieser Woche schon rund 450 verkauft worden sein. Verwaltungsdirektor Jürgen Frahm „ Wir kriegen es voll. Es läuft ausgezeichnet." Der Theaterförderverein wird in

Zusammenarbeit mit den Theaterfreunden eine Tombo­la durchführen, bei der 3.000 Lose zu je zehn Mark unters Ball-Volk gebracht werden. Hauptgewinn: ein Automobil.


Ort des Ball-Geschehens ist der Vorplatz und das Foyer des Theaters am Berliner Platz. Der Ball soll um 19.30 Uhr be­ginnen - am Theaterbrunnen wird ein Empfangscocktail ge­reicht, dazu gibt es ein Vorpro­gramm. Dann soll es feierlich durch die Kammerspiele ge­hen, vorbei an der Tombola, hin zu den Tischen mit ihren 648 Plätzen. Im Hauptfoyer wird ein achtzehn Meter lan­ger Tanz-Parkettfußboden aus­gelegt werden.


Zum Tanze spielen die Stutt­garter Bands „Dancing Que­en" und die „Nice-Kemmer- Band". Das Programm bietet außerdem Gesangseinlagen der Heilbronner Sängerin Margerita Cantero, die aus dem karibischen Raum stammt, sowie Lieder, die von Ilja Rich­ter vorgetragen werden sollen. Eine „Mitternachts-Show" ar­rangiert von Madeleine Lienhard, bei der Songs aus den am Heilbronner Hause gezeigten musikalischen Produktionen gesungen und vorgeführt wer­den, ist außerdem angesagt.


Durchlöchert wird die Thea­ter-Ankündigung, daß der Ball im Theater nicht subventio­niert werde, durch die Tatsa­chen, daß er im Hause am Ber­liner Platz stattfindet, also ein Teil des Ensembles „kosten­los" zur Verfügung steht, Putz- und Garderobendienste arbei­ten und die Theater-Werkstätten die Ausstattung besorgt haben.  Der Grundsatz der Chancengleichheit für alle das Theater subventionierenden Bürger ist somit nicht gewahrt. (JDU)


Provinz-Theater


Von Jürgen Dieter Ueckert

Ilja Richter sagt, der Inten­dant Klaus Wagner sei ein un­ermüdliches Theaterpferd. Dem kann man als Beobachter voll zustimmen. Seit Wagner das Heilbronner Theater leitet, hat es Zuwächse, die es gleich­berechtigt neben andere deut­sche Stadttheater stellt.


Angetreten ist Wagner vor rund vier Jahren mit dem Leit­satz „Vielfalt und Überra­schung“. Heute sagt er auch (beim Mai-Theater-Stammtisch): „Gewöhnung ist eine kulturelle Erfindung der Welt, keine bürgerliche Notwendig­keit. “ Wagner als Figaro des Theaters, der vieles auf einmal will, der Gegensätzliches - und sei es noch so weit von einander entfernt – verbinden möchte. Die ganze Welt auf die Bühne.


Was kommt bei diesem Bie­gen und Brechen heraus? Stücke von Brecht, Nestroy, Les­sing, Tankred Dorst, Margaret­he von Trotta oder Tennessee Williams, Philip King, Neil Si­mon für den Spielplan 1984/85. Deutsche Stadttheater-Durchschnittsware? Zum Teil. Das muß wahrscheinlich so sein, um in Heilbronn ein er­folgreiches Theater zu leiten.


Klaus Wagner will Provinz­theater machen. Mit all seinen Stärken und Schwächen. Das ist ihm bisher gelungen. Zuvor hatte Heilbronn einen Ab­klatsch davon. Ein Schelm, der jetzt Schlechtes dabei denkt.


Neckar-Express
Rhein-Neckar-Zeitung
16.04.1984