Der Theater-Spielplan 1984/85 wurde beim „Stammtisch“ vorgestellt
Erfolge –
und ein Skandal?
„Insgesamt
können wir zufrieden sein. “ - So lautete ein vorläufiges Fazit des Verwaltungsdirektors
am Heilbronner Stadttheater, Jürgen Frahm, beim Mai-Theater-Stamm tisch, einer
allmonatlich ablaufenden Veranstaltung des „Theaters Heilbronn". Seine Rechnung:
In der vergangenen Spielzeit 1982/83 - der ersten im neuen Haus am Berliner
Platz - hatte das Stadttheater rund 172.000 Besucher gezählt. Jetzt, das heißt
Ende April 1984, zählte man schon 139.500 Besucher. Hochgerechnet auf die
Spielzeit 1983/84 würde das heißen: 185.000
Zuschauer, ein neuer Besucherrekord in Heilbronn.
Die
Platzausnutzung im Großen Haus habe, so Frahm, in der laufenden Spielzeit
bisher 89 Prozent betragen, in den Kammerspielen sogar 90,5 Prozent. Die
Platzausnutzung bei einzelnen Stücken, laut Jürgen Frahm: „Beckett oder die
Ehre Gottes" 84,7 Prozent, ,,Im weißen Rössl" 99 Prozent, „Kristallklar"
93,5 Prozent und „Wie man was wird im Leben ..." 90 Prozent. Unverkennbar
sei im Kammertheater am Berliner Platz, so Frahm, der Hang der Zuschauer zum
Boulevardtheater.
Die
Eigeneinnahmen des Theaters Heilbronn hatten im Rechnungsjahr 1983 2,6 Millionen
Mark oder 27 Prozent des Theater-Haushalts betragen (Bundesdurchschnitt rund
12 Prozent). Die Stadt Heilbronn hatte dem Theaterbetrieb mit 3,3 Millionen
Mark unter die Arme gegriffen, der Anteil des Landes Baden-Württemberg lag bei
3,5 Millionen Mark und der Landkreis Heilbronn konnte lediglich 20.000 Mark
beisteuern.
Bis zum Ende
der laufenden Spielzeit 83/84 wird es noch folgende Premieren am Heilbronner
Theater geben: Im ,,Großen Haus" am Berliner Platz inszeniert der
Intendant Klaus Wagner Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan"
(Premiere am 17. Mai 1984, 19:30 Uhr), und in den Kammerspielen wird am 23. Mai
1984 um 20 Uhr Frederico Garcia Lorcas „Und sie legen den Blumen Handschellen
an", eine Gemeinschaftsregie der beteiligten Schauspieler, aufgeführt
werden. Peter Lüdi ist der Regisseur der Farce von Philip Kings „Lauf doch
nicht immer weg“, die am 2. Juni im Großen Haus Premiere haben wird. Das Stück
soll auch in der kommenden Spielzeit am Heilbronner Theater zu sehen sein,
ebenso wie die Erfolgsinszenierung der laufenden Spielzeit „Das Weiße
Rössl", eine Arbeit von Franz Winter.
Eröffnet
wird die neue Spielzeit 1984/85 mit Tankred Dorsts „Merlin“. Inszenierung:
Franz Winter. Der Wiener Regisseur und Burgschauspieler Winter soll in vier
Stücken der kommenden Spielzeit Regie führen. Intendant Klaus Wagner will drei
Stücke inszenieren. Außerdem sollen - so ist die Planung- die Regisseure Peter
M. Preissler, Peter Lüdi und Matthias Gärtner wieder am Heilbronner Theater arbeiten.
Der
„Theater-Skandal“ der laufenden Saison,
der Theater- Ball des Stadttheaters, scheint für die Theaterleitung kein
„Reizthema" zu sein: „Wir können es uns nicht leisten, den Eintrittspreis
für einen Theater-Ball zu subventionieren." - Achtzig Mark wird eine
Eintrittskarte für den Ball am 19. Mai 1984 kosten. Darin ist die Teilnahme an
einem „Schlemmerbuffet“ auf drei Etagen des Hauses beinhaltet.
Von den 648
Karten, die insgesamt 51.840 Mark einbringen werden, sollen laut Auskunft des
Theaters bis zum Dienstag dieser Woche schon rund 450 verkauft worden sein.
Verwaltungsdirektor Jürgen Frahm „ Wir kriegen es voll. Es läuft
ausgezeichnet." Der Theaterförderverein wird in
Zusammenarbeit
mit den Theaterfreunden eine Tombola durchführen, bei der 3.000 Lose zu je
zehn Mark unters Ball-Volk gebracht werden. Hauptgewinn: ein Automobil.
Ort des
Ball-Geschehens ist der Vorplatz und das Foyer des Theaters am Berliner Platz.
Der Ball soll um 19.30 Uhr beginnen - am Theaterbrunnen wird ein
Empfangscocktail gereicht, dazu gibt es ein Vorprogramm. Dann soll es
feierlich durch die Kammerspiele gehen, vorbei an der Tombola, hin zu den
Tischen mit ihren 648 Plätzen. Im Hauptfoyer wird ein achtzehn Meter langer
Tanz-Parkettfußboden ausgelegt werden.
Zum Tanze
spielen die Stuttgarter Bands „Dancing Queen" und die „Nice-Kemmer-
Band". Das Programm bietet außerdem Gesangseinlagen der Heilbronner
Sängerin Margerita Cantero, die aus dem karibischen Raum stammt, sowie Lieder,
die von Ilja Richter vorgetragen werden sollen. Eine „Mitternachts-Show"
arrangiert von Madeleine Lienhard, bei der Songs aus den am Heilbronner Hause
gezeigten musikalischen Produktionen gesungen und vorgeführt werden, ist
außerdem angesagt.
Durchlöchert
wird die Theater-Ankündigung, daß der Ball im Theater nicht subventioniert werde,
durch die Tatsachen, daß er im Hause am Berliner Platz stattfindet, also ein
Teil des Ensembles „kostenlos" zur Verfügung steht, Putz- und
Garderobendienste arbeiten und die Theater-Werkstätten die Ausstattung besorgt
haben. Der Grundsatz der Chancengleichheit
für alle das Theater subventionierenden Bürger ist somit nicht gewahrt. (JDU)
Provinz-Theater
Von Jürgen Dieter Ueckert
Ilja Richter
sagt, der Intendant Klaus Wagner sei ein unermüdliches Theaterpferd. Dem kann
man als Beobachter voll zustimmen. Seit Wagner das Heilbronner Theater leitet,
hat es Zuwächse, die es gleichberechtigt neben andere deutsche Stadttheater
stellt.
Angetreten
ist Wagner vor rund vier Jahren mit dem Leitsatz „Vielfalt und Überraschung“.
Heute sagt er auch (beim Mai-Theater-Stammtisch): „Gewöhnung ist eine
kulturelle Erfindung der Welt, keine bürgerliche Notwendigkeit. “ Wagner als Figaro des Theaters, der vieles auf
einmal will, der Gegensätzliches - und sei es noch so weit von einander
entfernt – verbinden möchte. Die ganze Welt auf die Bühne.
Was kommt
bei diesem Biegen und Brechen heraus? Stücke von Brecht, Nestroy, Lessing,
Tankred Dorst, Margarethe von Trotta oder Tennessee Williams, Philip King,
Neil Simon für den Spielplan 1984/85. Deutsche Stadttheater-Durchschnittsware?
Zum Teil. Das muß wahrscheinlich so sein, um in Heilbronn ein erfolgreiches
Theater zu leiten.
Klaus Wagner
will Provinztheater machen. Mit all seinen Stärken und Schwächen. Das ist ihm
bisher gelungen. Zuvor hatte Heilbronn einen Abklatsch davon. Ein Schelm, der
jetzt Schlechtes dabei denkt.
Neckar-Express
Rhein-Neckar-Zeitung
16.04.1984