Dienstag, 1. April 2014

Stadttheater Heilbronn - Vorstellungen beim "Stammtisch" (1984)


Der Theater-Spielplan 1984/85 wurde beim „Stammtisch“ vorgestellt


Erfolge – und ein Skandal?


„Insgesamt können wir zu­frieden sein. “ - So lautete ein vorläufiges Fazit des Verwaltungsdirektors am Heilbronner Stadttheater, Jürgen Frahm, beim Mai-Theater-Stamm tisch, einer allmonatlich ab­laufenden Veranstaltung des „Theaters Heilbronn". Seine Rechnung: In der vergangenen Spielzeit 1982/83 - der ersten im neuen Haus am Berliner Platz - hatte das Stadttheater rund 172.000 Besucher ge­zählt. Jetzt, das heißt Ende April 1984, zählte man schon 139.500 Besucher. Hochge­rechnet auf die Spielzeit 1983/84 würde das heißen:  185.000 Zuschauer, ein neuer Besu­cherrekord in Heilbronn.


Die Platzausnutzung im Gro­ßen Haus habe, so Frahm, in der laufenden Spielzeit bisher 89 Prozent betragen, in den Kammerspielen sogar 90,5 Pro­zent. Die Platzausnutzung bei einzelnen Stücken, laut Jürgen Frahm: „Beckett oder die Ehre Gottes" 84,7 Prozent, ,,Im wei­ßen Rössl" 99 Prozent, „Kri­stallklar" 93,5 Prozent und „Wie man was wird im Le­ben ..." 90 Prozent. Unver­kennbar sei im Kammertheater am Berliner Platz, so Frahm, der Hang der Zuschauer zum Boulevardtheater.


Die Eigeneinnahmen des Theaters Heilbronn hatten im Rechnungsjahr 1983 2,6 Mil­lionen Mark oder 27 Prozent des Theater-Haushalts betra­gen (Bundesdurchschnitt rund 12 Prozent). Die Stadt Heilbronn hatte dem Theaterbe­trieb mit 3,3 Millionen Mark unter die Arme gegriffen, der Anteil des Landes Baden-Württemberg lag bei 3,5 Mil­lionen Mark und der Landkreis Heilbronn konnte lediglich 20.000 Mark beisteuern.


Bis zum Ende der laufenden Spielzeit 83/84 wird es noch folgende Premieren am Heil­bronner Theater geben: Im ,,Großen Haus" am Berliner Platz inszeniert der Intendant Klaus Wagner Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan" (Premiere am 17. Mai 1984, 19:30 Uhr), und in den Kammerspielen wird am 23. Mai 1984 um 20 Uhr Frederico Garcia Lorcas „Und sie legen den Blumen Handschellen an", eine Gemeinschaftsregie der beteiligten Schauspieler, aufgeführt werden. Peter Lüdi ist der Regisseur der Farce von Philip Kings „Lauf doch nicht immer weg“, die am 2. Juni im Großen Haus Premiere haben wird. Das Stück soll auch in der kommenden Spielzeit am Heilbronner Theater zu sehen sein, ebenso wie die Erfolgs­inszenierung der laufenden Spielzeit „Das Weiße Rössl", eine Arbeit von Franz Winter.


Eröffnet wird die neue Spiel­zeit 1984/85 mit Tankred Dorsts „Merlin“. Inszenierung: Franz Winter. Der Wiener Re­gisseur und Burgschauspieler Winter soll in vier Stücken der kommenden Spielzeit Regie führen. Intendant Klaus Wag­ner will drei Stücke inszenie­ren. Außerdem sollen - so ist die Planung- die Regisseure Peter M. Preissler, Peter Lüdi und Matthias Gärtner wieder am Heilbronner Theater ar­beiten.


Der „Theater-Skandal“  der laufenden Saison, der Theater- Ball des Stadttheaters, scheint für die Theaterleitung kein „Reizthema" zu sein: „Wir können es uns nicht leisten, den Eintrittspreis für einen Theater-Ball zu subventionie­ren." - Achtzig Mark wird eine Eintrittskarte für den Ball am 19. Mai 1984 kosten. Darin ist die Teilnahme an einem „Schlemmerbuffet“ auf drei Etagen des Hauses beinhaltet.


Von den 648 Karten, die ins­gesamt 51.840 Mark einbringen werden, sollen laut Aus­kunft des Theaters bis zum Dienstag dieser Woche schon rund 450 verkauft worden sein. Verwaltungsdirektor Jürgen Frahm „ Wir kriegen es voll. Es läuft ausgezeichnet." Der Theaterförderverein wird in

Zusammenarbeit mit den Theaterfreunden eine Tombo­la durchführen, bei der 3.000 Lose zu je zehn Mark unters Ball-Volk gebracht werden. Hauptgewinn: ein Automobil.


Ort des Ball-Geschehens ist der Vorplatz und das Foyer des Theaters am Berliner Platz. Der Ball soll um 19.30 Uhr be­ginnen - am Theaterbrunnen wird ein Empfangscocktail ge­reicht, dazu gibt es ein Vorpro­gramm. Dann soll es feierlich durch die Kammerspiele ge­hen, vorbei an der Tombola, hin zu den Tischen mit ihren 648 Plätzen. Im Hauptfoyer wird ein achtzehn Meter lan­ger Tanz-Parkettfußboden aus­gelegt werden.


Zum Tanze spielen die Stutt­garter Bands „Dancing Que­en" und die „Nice-Kemmer- Band". Das Programm bietet außerdem Gesangseinlagen der Heilbronner Sängerin Margerita Cantero, die aus dem karibischen Raum stammt, sowie Lieder, die von Ilja Rich­ter vorgetragen werden sollen. Eine „Mitternachts-Show" ar­rangiert von Madeleine Lienhard, bei der Songs aus den am Heilbronner Hause gezeigten musikalischen Produktionen gesungen und vorgeführt wer­den, ist außerdem angesagt.


Durchlöchert wird die Thea­ter-Ankündigung, daß der Ball im Theater nicht subventio­niert werde, durch die Tatsa­chen, daß er im Hause am Ber­liner Platz stattfindet, also ein Teil des Ensembles „kosten­los" zur Verfügung steht, Putz- und Garderobendienste arbei­ten und die Theater-Werkstätten die Ausstattung besorgt haben.  Der Grundsatz der Chancengleichheit für alle das Theater subventionierenden Bürger ist somit nicht gewahrt. (JDU)


Provinz-Theater


Von Jürgen Dieter Ueckert

Ilja Richter sagt, der Inten­dant Klaus Wagner sei ein un­ermüdliches Theaterpferd. Dem kann man als Beobachter voll zustimmen. Seit Wagner das Heilbronner Theater leitet, hat es Zuwächse, die es gleich­berechtigt neben andere deut­sche Stadttheater stellt.


Angetreten ist Wagner vor rund vier Jahren mit dem Leit­satz „Vielfalt und Überra­schung“. Heute sagt er auch (beim Mai-Theater-Stammtisch): „Gewöhnung ist eine kulturelle Erfindung der Welt, keine bürgerliche Notwendig­keit. “ Wagner als Figaro des Theaters, der vieles auf einmal will, der Gegensätzliches - und sei es noch so weit von einander entfernt – verbinden möchte. Die ganze Welt auf die Bühne.


Was kommt bei diesem Bie­gen und Brechen heraus? Stücke von Brecht, Nestroy, Les­sing, Tankred Dorst, Margaret­he von Trotta oder Tennessee Williams, Philip King, Neil Si­mon für den Spielplan 1984/85. Deutsche Stadttheater-Durchschnittsware? Zum Teil. Das muß wahrscheinlich so sein, um in Heilbronn ein er­folgreiches Theater zu leiten.


Klaus Wagner will Provinz­theater machen. Mit all seinen Stärken und Schwächen. Das ist ihm bisher gelungen. Zuvor hatte Heilbronn einen Ab­klatsch davon. Ein Schelm, der jetzt Schlechtes dabei denkt.


Neckar-Express
Rhein-Neckar-Zeitung
16.04.1984

Samstag, 29. März 2014

Stadttheater Heilbronn - Notizen, Beobachten und Betrachtungen 1987


Worüber man spricht in den letzten fünf Jahren

Erfolgreiche Premieren und vieles andere mehr

Von Jürgen Dieter Ueckert

Klaus Wagner im Neckar-Express-Interview am 18. November 1982 zur Eröff­nung des Stadttheaters Heilbronn: „Ich denke, daß oft viele Stadt­theater allzu sehr sich als Diminuitiv (Red. Anm.: Verkleinerung)  der Metropolen betrach­tet haben und immer das Spe­ziellste nachzumachen versucht haben, statt sich als etwas zu verstehen, was eigentlich viel wichtiger ist: Boden zu sein für das, was dann weitergehen muß.“
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Kurt. Gerling, Theater-Archi­tekt, am 18. November 1982 in einem Neckar-Express-Interview zum geplanten Kulturan­bau auf dem Berliner Platz: „Da kann kein Architekt glücklich sein, wenn nur die Hälfte von dem steht, was als Ganzes ein­mal auf dem Platz stehen soll. Aber es ist ja so, daß die Heilbronner die Absicht haben, die­sen Anbau zu erstellen. In der längerfristigen Finanzplanung sind auch Zielvorstellungen vorgegeben. Wir hoffen, daß es diesmal schneller geht als beim Theater und nicht wieder zwanzig Jahre vergehen, bis der Westabschluß des Berliner Platzes entsteht."
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Werner Thunert, Chefredak­teur der Heilbronner Stimme, in der Sonderbeilage seiner Zeitung am 16. November 1982: „Während andernorts an den Grundfesten der Existenz der Theater gerüttelt wird, suchten die Verantwortlichen der „kleinen Großstadt" das Wagnis des Theater-Neube­ginns. Sie taten dies nach ei­nem Jahrzehnte andauernden „Theater ums Theater", das in seiner Leidenschaftlichkeit so­gar alte Freundschaften zerbre­chen und das normale Mitein­ander der Parteien zu einem unversöhnlichen Gegeneinan­der wuchern ließ. Die Ausein­andersetzungen scheinen heute vor dem Hintergrund der Neubau-Euphorie verblaßt zu sein. Sie können aber nach dem Glanz der Premieren rasch wie­der aufflammen, wenn eines Tages die nackten Erfolgs- oder Mißerfolgszahlen mit dem un­bestreitbaren kulturellen Wert der bedeutsamen regionalen Einrichtung in Einklang ge­bracht werden müssen. Auch der Staat als Subventionsgeber wird eines Tages die Meßlatte anlegen."
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Klaus Wagner auf der „Spielplan-Pressekonferenz 1982/83" am 10. November 1982: „Das Konzept des Heilbronner Thea­ters ist jenes, das ich schon seit zwei Jahren verfolge und wei­ter verfolgen will. Nämlich daß hier in Heilbronn Provinz beim Wort genommen wird, junge Leute sich ausprobieren und so die Basisarbeit für die Institu­tion gemacht wird, damit dies auch ein Lebendigkeitserlebnis für das Publikum ist. Wir wol­len in Heilbronn nicht Theater als literarische Spezialität und nicht als politisches Forum be­trachten, sondern Theater als unverwechselbaren Augen­blick präsentieren, in dem et­was auf der Bühne geschieht."
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Die regionale und überregio­nale Presse berichtete zur Eröffnung des neuen Heilbronner Theaters mit dem amerikanischen Musical „My Fair Lady" sehr unterschiedlich.
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Südwestpresse: „Die Hydraulik feiert hier nie geschaute Triumphe. Der Re­gisseur Klaus Wagner ist voll­auf damit beschäftigt, das Büh­nenbild zu inszenieren. Für die darin agierenden Personen hat er keine Führungshand mehr frei, Aber die sind bei diesen Wundem der Technik auch nicht so wichtig - Hauptsache, die Bühnenwandlungen gehen schnell und reibungslos vonstatten.“
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Stuttgar­ter Zeitung: „Die Hilflosigkeit vor der neuen gerühmten Technik des Hauses war grandios. Nichts zeigte augenfälliger, daß die Heilbronner Trappe, die so tap­fer in ihren Provisorien gespielt hatte, den Neubau noch lange nicht bezogen hat."
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Süddeutscher Rundfunk: „Vom Musical blieb ein we­nig Gesang. Die Geschichte wurde aus der lässigen, großzü­gigen Musical-Show in die enge Puppenstube des 19. Jahr­hunderts zurückgepeitscht ... In die viktorianische Scheinidylle setzte Wagner sein Zappel-Musical mit Marionettenfi­guren. Von Komödie war in dieser Inszenierung kaum et­was zu spüren. Es war ein Schlag aus der Zauberkiste des „Nichterwartbaren", dem Motto des Intendanten und Re­gisseurs. Frage: Warum ist ,My Fair Lady', das Musical, in Heil­bronn auf offener Bühne exeku­tiert worden."
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Heilbronner Stimme: „Alle waren wohl überfordert, die Hauptdarsteller aber beson­ders ... Klaus Wagners Bühne muß an und in diesem neuen Haus noch wachsen und lernen - vor allem, die Selbstüber­schätzung zu vermeiden."
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Im Vergleich der Einspiel­-Ergebnisse der Stadttheater von Städten mit 100.000 bis zu 200.000 Einwohnern steht Heil­bronn gut da. Die folgend auf­geführten Einspielergebnisse zeigen in Prozenten die von den Theatern erwirtschafteten Einnahmen in Bezug auf die Gesamtausgaben. Die Zahlen sind der Statistik des deutschen Bühnenvereins, die im Juni 1986 herausgegeben wurde, entnommen: Saarbrücken 15,1 Prozent (Saarländisches Staatstheater); Mainz 18,9 Prozent (Theater der Landeshauptstadt Mainz); Kassel 12,5 Prozent (Hessi­sches Staatstheater Kassel); Freiburg 9,6 Prozent (Städtische Bühnen); Osna­brück 14,6 Prozent (Städtische Bühnen); Oldenburg 12,5 Pro­zent (Oldenburgische Staatstheater); Bremerhaven 10,9 Prozent (Stadtthea­ter); Darmstadt 14,5 Prozent  (Hessisches Staatstheater); Heidelberg 12,4 Prozent (Stadt­theater); Göttin­gen 15,9 Prozent (Deutsches Theater); Würzburg 19,0 Prozent  (Stadtthea­ter); Regensburg  14,5 Prozent (Stadttheater); Ko­blenz  12,7 Pro­zent (Stadttheater); Heilbronn   26,8 Prozent (Stadttheater); Pforzheim 11,4 Prozent (Stadt­theater); Hildes­heim 17,6 Pro­zent. (Stadttheater).
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Die zweite Premiere am Stadt­theater war im November 1982 Goethes „Faust I“ in der Insze­nierung von Klaus Wagner. Die Stuttgarter Zeitung schrieb: „Man hat Angst zu glauben, daß es etwas anderes war als panische Angst vor dem neuen Haus und den ungewohnten vielen Zuschauern in diesem Haus, das den Regisseur in die dicksten Stilfarbtöpfe fassen ließ, optisch und akustisch ... Dem Regisseur war offensicht­lich die Binsenweisheit - man hofft, vorübergehend - abhan­den gekommen, daß alle Kunst zunächst einmal im Weglassen besteht: im Weglassen und Ent­rümpeln der eigenen Klischee­vorstellungen vom Theater­spiel."
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Klaus Wagner an seine „Lieben Theaterfreunde" im Theater- Blatt Nummer 11, Januar 1983: „Was mußten Sie alles lesen in diesen Eröffnungswochen über Ihr Theater - daß alles dort schlecht ist und fehlgeplant und verkorkst und krisenge­schüttelt. Wenn Sie eine der Vorstellungen jetzt besuchen, dann kann das nur ein Irrtum von Ihnen sein. Vielleicht, liebe Theaterfreunde, verstehen Sie nichts vom Theater. Ich und viele meiner Mitarbeiter hatten es schwer in diesen Wochen angesichts der haßerfüllten Kampagne, die sich da kübelweise über uns ergoß, schwer vor allem, weil wir wußten, daß Sich-wehren gegen Vorurteile und Inkompetenz sinnlos ist und daß Richtigstellen kein Mittel ist, wenn es gar nicht um Sachlichkeit geht."
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Jahr für Jahr wechseln viele Schauspieler - auch am Heil­bronner Theater. Begabte und weniger auffällige geben sich die Klinke in die Hand. Schau­spieler-Namen, die durch ihre außerordentlichen Leistungen in den letzten fünf Jahren auf­fielen: August Schmölzer, Christoph Gareifien, Thomas Bestvater, Claudia-Sophia Jeli­nek, Miklos Horvath, Evelyn Plank, Wolfgang Dombrovsky, Soeren Langfeld, Christopher Krieg, Dominik Hillisch, Franz Forschauer.



Sonderbeilage NECKAR-EXPRESS zu
„Fünf Jahre Theater Heilbronn am Berliner Platz“
Donnerstag, 24. September 1987
Nummer 39 / Seite 13 bis 24

Freitag, 28. März 2014

Stadttheater Heilbronn - Theatergeschichte Heilbronns im Abriss (1987)



Vom 9.11.1844 bis zum 16.11.1982

Vom Aktientheater zum
Neubau auf dem Berliner Platz

Von Jürgen Dieter Ueckert

Der erste Theaterbau in Heil­bronn wird am 9. November 1844 in einem Anbau des Braunhardt‘schen Anwesens, einem ehemaligen Biergarten-Lokal, eröffnet - auf dem Ge­lände des heutigen Stadtgar­tens. Zuschüsse vom Rathaus gibt es keine. Eine Bürgerinitia­tive hat von der Stadt Heil­bronn 134 Aktien gekauft, die restlichen 220 Aktien des Grundstücks nebst Gartensaal mit Wirtschaft befinden sich in Händen der Initiative. Daher der Name „Aktientheater".

Er­öffnet wird das Haus mit der Ouvertüre zur Mozarts „Zauberflöte“ und anderen Darbietungen - „un­ter gefälliger Mitwirkung der Herren Dilettanten". Erster Theaterdirektor ist Martin Ja­kob Winter. Da die Direktoren zumeist jährlich wechseln, ist Winter nochmals in den Spiel­zeiten 1851/52 und 1860/61 Leiter des Heilbronner Aktien­theaters.

Ab 1887 übernehmen die Direktoren Richard Steng und Konrad Krauß die Direk­tion. Zum spielenden Personal zählt man jeweils acht Schau­spieler weiblichen und acht männlichen Geschlechts sowie die verschwägerten Direktoren und ihre Ehegattinnen. 1870 übernimmt die „Harmonie-Ge­sellschaft“ den Theaterbau. Seit 1864 werden städtische Zu­schüsse gezahlt. Die jährlichen Zuschuß-Steigerungen führen schließlich dazu, daß 1905 die Stadt das Theater gänzlich in ihre Obhut nimmt.

1902 schon denkt man in der Heilbronner Stadtverwaltung über einen Neubau für das Theater nach. Es fehlt aber an Geld. Oberbürgermeister Paul Göbel erläßt am 9. Mai 1908 den Aufruf zu Stiftungen und Darlehen für den neuen Thea­terbau. Innerhalb von vierzehn Tagen kommen 500.000 Reichsmark zusammen. Im gleichen Jahr wird der Münchner Theaterar­chitekt Dr. Theodor Fischer auf Anregung des Heilbronner Hofrates Peter Bruckmann mit den Planungen für den Neubau beauftragt.

Drei Standorte ste­hen zur Wahl: der Harmonie-Garten, das Nordende der Allee und ein Platz an der Ecke Bismarckstraße / Herbststraße. Am 24. August 1911 werden die Pla­nungen von der Stadt Heilbronn genehmigt. Am 18. Sep­tember 1911 erfolgt der erste Spatenstich am Nordende der Allee. Am 9. Mai 1912 wird der Grundstein gelegt, und die Ein­weihung des neuen Hauses kann am 30. September 1913 erfolgen.

Das Haus am Ende der Allee im Jugendstil erbaut, hat 648 Sitzplätze und 200 Stehplätze. Eröffnet wird das Haus vor 800 geladenen Gästen mit einem von Peter Bruckmann verfaßten „Weihespiel" und dem dritten Aufzug aus Richard Wagners „Meistersingern". Ein Jahr spä­ter beginnt der Erste Weltkrieg.

Geleitet wird das neue Haus von den Direktoren Richard Steng und Konrad Krauß, die seit 1887 auch schon das Ak­tientheater führten. 1919 wer­den die Söhne beider, Richard Krauß und Wilhelm Steng, zu ihren Nachfolgern bestimmt. Der Theater-Kritiker Hans Franke schreibt über die Krauß-Ära: „Das Niveau des Theaters war bis 1933 ein vor­treffliches. Modern eingestellte Schauspieler erkämpften das Interesse für das moderne Schauspiel, zahlreiche Urauf­führungen legen Zeugnis von dieser Aktivität und dem Rang des Theaters ab, das in der Tat wesentlich von dem Trott ande­rer Provinztheater abwich."

Schauspieler, die später be­kannt werden, beginnen oft ihre Laufbahn in Heilbronn. Wilhelm Dieterle spielt in Heil­bronn den Franz Moor. In Hol­lywood ist er dann der Regis­seur William Dieterle. Und auch Willy Reichert, der schwä­bische Humorist, und die hessi­sche Ulknudel Liesel Christ de­bütieren am Heilbronner Stadt­theater. Am Provinz-Theater Heilbronn gastieren bekannte Großstadt-Schauspieler und Sänger: Asta Nielsen, Alexan­der Moissi, Albert Bassermann, Heinrich George und Eugenie Burckhardt, Albert Seibert und Gotthold Ditter.

In der Spielzeit 1923/24 zeigt sich zum Beispiel das Provinz- Theater in voller Größe: man spielt den „Urgötz" Goethes  - „ungestrichen" in 56 Bildern und einer Spieldauer von vier Stunden mit zehn Minuten Pause.

Am 15. Februar 1933, in Deutschland herrscht die große Arbeitslosigkeit, muß die Heil­bronner Theater-Leitung erklä­ren, daß sie keine Möglichkeit zur Fortführung des Theater­betriebes mehr sehe. Aber schon bald übernimmt der NSDAP-Oberbürgermeister Heinrich Gültig „in praktischer Erfüllung der nationalsozialisti­schen Kulturpolitik" das Thea­ter wieder unter die Fittiche der Stadt. Auf den Intendanten Ri­chard Krauß folgt 1936/37 Hans Gerhard Bartels. Ab 1937 wird Franz Josef Delhis als Theater­leiter berufen. Er stirbt 1982. In den Kriegsjahren ist Werner Schlafferer Intendant.

„Wenn die Waffen sprechen, darf die Muse nicht schwei­gen." Mit dieser Vorgabe star­tet das Heilbronner Stadtthe­ater in „die dritte Spielzeit in diesem Kampfe um Deutsch­lands Bestand und Zukunft" - im Jahre 1941. Fritz Wilde, ab 1941 am Heilbronner Theater und im Jahre 1944 dessen letz­ter Oberspielleiter, erinnert sich, daß man Tag und Nacht gearbeitet habe. Täglich gab es eine Aufführung, donnerstags war immer Premiere. Die NSDAP wünscht „Festauffüh­rungen". Zu „Führers Geburts­tag“ hat die Strauß-Oper „Der Rosenkavalier" Premiere. 1943/44 finden in Heilbronn Rumänische Theaatertage als „Gaben des verbündeten Auslandes“ statt.

In einer nichtöffentlichen Sitzung des Heilbronner Stadtrats wird am 11. Mai 1944 beschlos­sen, den städtischen Zuschuß für das Haus auf 463.100 Reichsmark zu erhöhen. Der Nazi-OB Gültig meint dazu, daß er es am liebsten sähe, wenn das Theater für einige Zeit geschlossen werden könnte". Dieser Wunsch geht bald in Erfüllung.

Nach einer Vorstellung von Verdis „Nabucco" am 24. Juni 1944 werden alle Theatermitarbeiter zu einer Versammlung mit NS-Kreisleiter Richard Drauz zusammengerufen. „Von jetzt ab gehört ihr mir!", soll Drauz gesagt haben. Das Theater wurde geschlossen - wie alle anderen Theater im Deutschen Reich auch. Die Mitarbeiter mußten an die Front oder in Rü­stungsbetrieben arbeiten. Beim Luftangriff auf Heilbronn am 4. Dezember 1944 wurde der Jugendstilbau des Stadtthe­aters teilweise zerstört.

Im Saale der Trappensee-Gaststätte wird schon im No­vember 1945 das „Heilbronner Künstlertheater" eröffnet. In­itiatoren der „Notgemein­schaft", die sich aus ehemali­gen Mitgliedern des Stadtthe­aters zusammensetzt, sind Ernst Könecke und Dr. Erich Ziemann. „Wir machen Musik" lautet der Titel für den Eröff­nungsabend am 1. November 1945. Doch der Raum in der Trappensee-Gaststätte wird für Schulzwecke benötigt. Man muß ausziehen.

Am 9. Februar 1946 wird vom „Künstlertheater" im notdürftig renovierten Saal des Gasthau­ses „Zur Sonne" in Heilbronn-­Sontheim die Operette „Land des Lächelns" aufgeführt. Am 21. April folgt die erste Oper. Die Bilanz der ersten Spielzeit: 75 202 Besucher in 214 Vorstel­lungen.

1947 übernimmt Fritz Wilde die Leitung des „Künstlerthe­aters". Man inszeniert Zuck­mayers „Des Teufels General". Gleichzeitig spielt die „Junge Bühne“ um Bernd Wehrmarker in Sontheim und später in der Sichererstraße Heilbronns Theater für die Bürger der Rui­nenstadt.

Eine Bürgergemeinschaft um den Journalisten Hans Franke will 1950 den Wiederaufbau des Theater vorantreiben. Der Deutsche Gewerkschaftsbund stellt den großen Saal im DGB- Haus in der Gartenstraße 64 als Spielstätte zur Verfügung.

Das „Kleine Heilbronner Theater" stellt sich am 8. März 1951 mit Romain Rollands „Spiel von Tod und Liebe" der Öffentlich­keit vor. Im Sommer 1951 wird der Verein „Kleines Theater Heilbronn" gegründet. Am 12. Oktober 1951 geht Klabunds „Kreidekreis" über die Bühne im Gewerkschaftshaus.

Bis 1954 führt Hans Heinz Franckh das Theater. Der Schauspieler und Regisseur Walter Bison wird zu seinem Nachfolger berufen, zunächst als Oberspielleiter und dann von 1956 bis 1980 als Intendant. Das Kleine Theater erhält ein eigenes Ensemble unter Bisons Führung. Man bietet Operet­ten, Musicals und Schauspiele an.

1961 beschließt der Heil­bronner Gemeinderat, das alte Theater auf dem Berliner Platz abzureißen, um einen Neubau zu errichten. Aber was be­schlossen ist, wird noch lange nicht in die Tat umgesetzt. 1968 wird das Kleine Theater in die „Heilbronner Theater GmbH" umgewandelt. Am 18. Juli 1970 wird der Jugendstilbau des Stadttheaters von Theo­dor Fischer gesprengt.

1968 hat Kulturbürgermeister Erwin Fuchs einen „Theaterför­derverein“ gegründet. Zwei Mil­lionen Mark werden für den Neubau gesammelt. Im gleichen Jahr eröffnet der Schauspieler Marc Luxemburger im Harmonie-Obergeschoß die Studio Bühne „theater 68“.

Nach kurzer Zeit muß das Ex­periment abgebrochen werden - aus finanziellen Gründen. Das Theater unter Walten Bison spielt in den gleichen Räum­lichkeiten weiter - und hat endlich mit der „Studiobühne" eine zweite Spielstätte.

Um Kindertheater in Heil­bronn wiederzubeleben, grün­det der Schauspieler Gisbert Lähn 1975 mit interessierten Bürgern den Verein „Theater für Kinder-Thefki". Nach dem Beweis, daß Kindertheater beim Heilbronner Publikum ankommt, muß Walter Bison Kindertheater auch in seinen Spielplan aufnehmen.

Im Februar 1978 wird mit dem Bau der Allee-Gerade-Aus­führung begonnen. Dann Intendanten-Wahl im Gemeinderat: Unter drei Bewerbern muß der Heilbronner Gemeinderat am 28. Juni 1979 auswählen, nachdem unter mehr als vierzig schon kräftig gesiebt worden war - von einer Findungskom­mission. Zur Wahl stehen Karl­heinz Büchi (CDU-Favorit), Alf Andre (SPD-unterstützt) und der Außenseiter Klaus Wagner. Andre erhält 17 von 39, Wagner die restlichen 22 Stimmen.

Der neugewählte Stadttheater-In­tendant Klaus Wagner: „Das ist das, was ich wollte. Ich habe kein Amt gesucht, sondern eine Aufgabe." Und beim Heilbron­ner Gemeinderat bedankt er sich mit den Worten: „Ich freue mich auf diese Arbeit. Wir wer­den viel miteinander zu tun haben."

Der erste Spatenstich für den Neubau des Stadttheaters erfolgt am 28. November 1979. Das Richtfest wird am 14. Mai 1981 gefeiert. Und die Einweihung des Neu­baus findet am 16. November 1982 statt - mit dem Musical „My Fair Lady“ in der Inszenie­rung des Intendanten Klaus Wagner.

Walter Bison, der langjährige Kämpfer für den Neubau und ein Dreispartenhaus erlebt die Einweihung als Ehrengast, 69-jährig. Im Mai 1980 hatte er sich von seinem Publikum im Gewerkschaftshaus mit Dür­renmatts „Der Meteor" verab­schiedet - Regie und Titelrolle von ihm geboten. Dr. Hans. Hoffmann überreichte Walter Bison am Ende der Aufführung das Bundesverdienstkreuz.

Quellen: Uwe Jacobi, „Die Ge­schichte des Heilbronner Thea­ters" in Sonderbeilage in der „Heilbronner Stimme" zur Thea­tereröffnung 1982 und in „Heil­bronn, so wie es war“, Droste Ver­lag Düsseldorf 1987.

 Sonderbeilage NECKAR-EXPRESS zu
„Fünf Jahre Theater Heilbronn am Berliner Platz“
Donnerstag, 24. September 1987
Nummer 39 / Seite 13 bis 24