Samstag, 29. März 2014

Stadttheater Heilbronn - Notizen, Beobachten und Betrachtungen 1987


Worüber man spricht in den letzten fünf Jahren

Erfolgreiche Premieren und vieles andere mehr

Von Jürgen Dieter Ueckert

Klaus Wagner im Neckar-Express-Interview am 18. November 1982 zur Eröff­nung des Stadttheaters Heilbronn: „Ich denke, daß oft viele Stadt­theater allzu sehr sich als Diminuitiv (Red. Anm.: Verkleinerung)  der Metropolen betrach­tet haben und immer das Spe­ziellste nachzumachen versucht haben, statt sich als etwas zu verstehen, was eigentlich viel wichtiger ist: Boden zu sein für das, was dann weitergehen muß.“
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Kurt. Gerling, Theater-Archi­tekt, am 18. November 1982 in einem Neckar-Express-Interview zum geplanten Kulturan­bau auf dem Berliner Platz: „Da kann kein Architekt glücklich sein, wenn nur die Hälfte von dem steht, was als Ganzes ein­mal auf dem Platz stehen soll. Aber es ist ja so, daß die Heilbronner die Absicht haben, die­sen Anbau zu erstellen. In der längerfristigen Finanzplanung sind auch Zielvorstellungen vorgegeben. Wir hoffen, daß es diesmal schneller geht als beim Theater und nicht wieder zwanzig Jahre vergehen, bis der Westabschluß des Berliner Platzes entsteht."
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Werner Thunert, Chefredak­teur der Heilbronner Stimme, in der Sonderbeilage seiner Zeitung am 16. November 1982: „Während andernorts an den Grundfesten der Existenz der Theater gerüttelt wird, suchten die Verantwortlichen der „kleinen Großstadt" das Wagnis des Theater-Neube­ginns. Sie taten dies nach ei­nem Jahrzehnte andauernden „Theater ums Theater", das in seiner Leidenschaftlichkeit so­gar alte Freundschaften zerbre­chen und das normale Mitein­ander der Parteien zu einem unversöhnlichen Gegeneinan­der wuchern ließ. Die Ausein­andersetzungen scheinen heute vor dem Hintergrund der Neubau-Euphorie verblaßt zu sein. Sie können aber nach dem Glanz der Premieren rasch wie­der aufflammen, wenn eines Tages die nackten Erfolgs- oder Mißerfolgszahlen mit dem un­bestreitbaren kulturellen Wert der bedeutsamen regionalen Einrichtung in Einklang ge­bracht werden müssen. Auch der Staat als Subventionsgeber wird eines Tages die Meßlatte anlegen."
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Klaus Wagner auf der „Spielplan-Pressekonferenz 1982/83" am 10. November 1982: „Das Konzept des Heilbronner Thea­ters ist jenes, das ich schon seit zwei Jahren verfolge und wei­ter verfolgen will. Nämlich daß hier in Heilbronn Provinz beim Wort genommen wird, junge Leute sich ausprobieren und so die Basisarbeit für die Institu­tion gemacht wird, damit dies auch ein Lebendigkeitserlebnis für das Publikum ist. Wir wol­len in Heilbronn nicht Theater als literarische Spezialität und nicht als politisches Forum be­trachten, sondern Theater als unverwechselbaren Augen­blick präsentieren, in dem et­was auf der Bühne geschieht."
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Die regionale und überregio­nale Presse berichtete zur Eröffnung des neuen Heilbronner Theaters mit dem amerikanischen Musical „My Fair Lady" sehr unterschiedlich.
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Südwestpresse: „Die Hydraulik feiert hier nie geschaute Triumphe. Der Re­gisseur Klaus Wagner ist voll­auf damit beschäftigt, das Büh­nenbild zu inszenieren. Für die darin agierenden Personen hat er keine Führungshand mehr frei, Aber die sind bei diesen Wundem der Technik auch nicht so wichtig - Hauptsache, die Bühnenwandlungen gehen schnell und reibungslos vonstatten.“
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Stuttgar­ter Zeitung: „Die Hilflosigkeit vor der neuen gerühmten Technik des Hauses war grandios. Nichts zeigte augenfälliger, daß die Heilbronner Trappe, die so tap­fer in ihren Provisorien gespielt hatte, den Neubau noch lange nicht bezogen hat."
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Süddeutscher Rundfunk: „Vom Musical blieb ein we­nig Gesang. Die Geschichte wurde aus der lässigen, großzü­gigen Musical-Show in die enge Puppenstube des 19. Jahr­hunderts zurückgepeitscht ... In die viktorianische Scheinidylle setzte Wagner sein Zappel-Musical mit Marionettenfi­guren. Von Komödie war in dieser Inszenierung kaum et­was zu spüren. Es war ein Schlag aus der Zauberkiste des „Nichterwartbaren", dem Motto des Intendanten und Re­gisseurs. Frage: Warum ist ,My Fair Lady', das Musical, in Heil­bronn auf offener Bühne exeku­tiert worden."
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Heilbronner Stimme: „Alle waren wohl überfordert, die Hauptdarsteller aber beson­ders ... Klaus Wagners Bühne muß an und in diesem neuen Haus noch wachsen und lernen - vor allem, die Selbstüber­schätzung zu vermeiden."
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Im Vergleich der Einspiel­-Ergebnisse der Stadttheater von Städten mit 100.000 bis zu 200.000 Einwohnern steht Heil­bronn gut da. Die folgend auf­geführten Einspielergebnisse zeigen in Prozenten die von den Theatern erwirtschafteten Einnahmen in Bezug auf die Gesamtausgaben. Die Zahlen sind der Statistik des deutschen Bühnenvereins, die im Juni 1986 herausgegeben wurde, entnommen: Saarbrücken 15,1 Prozent (Saarländisches Staatstheater); Mainz 18,9 Prozent (Theater der Landeshauptstadt Mainz); Kassel 12,5 Prozent (Hessi­sches Staatstheater Kassel); Freiburg 9,6 Prozent (Städtische Bühnen); Osna­brück 14,6 Prozent (Städtische Bühnen); Oldenburg 12,5 Pro­zent (Oldenburgische Staatstheater); Bremerhaven 10,9 Prozent (Stadtthea­ter); Darmstadt 14,5 Prozent  (Hessisches Staatstheater); Heidelberg 12,4 Prozent (Stadt­theater); Göttin­gen 15,9 Prozent (Deutsches Theater); Würzburg 19,0 Prozent  (Stadtthea­ter); Regensburg  14,5 Prozent (Stadttheater); Ko­blenz  12,7 Pro­zent (Stadttheater); Heilbronn   26,8 Prozent (Stadttheater); Pforzheim 11,4 Prozent (Stadt­theater); Hildes­heim 17,6 Pro­zent. (Stadttheater).
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Die zweite Premiere am Stadt­theater war im November 1982 Goethes „Faust I“ in der Insze­nierung von Klaus Wagner. Die Stuttgarter Zeitung schrieb: „Man hat Angst zu glauben, daß es etwas anderes war als panische Angst vor dem neuen Haus und den ungewohnten vielen Zuschauern in diesem Haus, das den Regisseur in die dicksten Stilfarbtöpfe fassen ließ, optisch und akustisch ... Dem Regisseur war offensicht­lich die Binsenweisheit - man hofft, vorübergehend - abhan­den gekommen, daß alle Kunst zunächst einmal im Weglassen besteht: im Weglassen und Ent­rümpeln der eigenen Klischee­vorstellungen vom Theater­spiel."
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Klaus Wagner an seine „Lieben Theaterfreunde" im Theater- Blatt Nummer 11, Januar 1983: „Was mußten Sie alles lesen in diesen Eröffnungswochen über Ihr Theater - daß alles dort schlecht ist und fehlgeplant und verkorkst und krisenge­schüttelt. Wenn Sie eine der Vorstellungen jetzt besuchen, dann kann das nur ein Irrtum von Ihnen sein. Vielleicht, liebe Theaterfreunde, verstehen Sie nichts vom Theater. Ich und viele meiner Mitarbeiter hatten es schwer in diesen Wochen angesichts der haßerfüllten Kampagne, die sich da kübelweise über uns ergoß, schwer vor allem, weil wir wußten, daß Sich-wehren gegen Vorurteile und Inkompetenz sinnlos ist und daß Richtigstellen kein Mittel ist, wenn es gar nicht um Sachlichkeit geht."
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Jahr für Jahr wechseln viele Schauspieler - auch am Heil­bronner Theater. Begabte und weniger auffällige geben sich die Klinke in die Hand. Schau­spieler-Namen, die durch ihre außerordentlichen Leistungen in den letzten fünf Jahren auf­fielen: August Schmölzer, Christoph Gareifien, Thomas Bestvater, Claudia-Sophia Jeli­nek, Miklos Horvath, Evelyn Plank, Wolfgang Dombrovsky, Soeren Langfeld, Christopher Krieg, Dominik Hillisch, Franz Forschauer.



Sonderbeilage NECKAR-EXPRESS zu
„Fünf Jahre Theater Heilbronn am Berliner Platz“
Donnerstag, 24. September 1987
Nummer 39 / Seite 13 bis 24

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