Mittwoch, 19. Februar 2014

Stadttheater Heilbronn - Eröffnung des neuen Theaters 1982 - Teil 4

Eröffnung des Heilbronner Theaters, 1982

Eine Hörfunk-Reportage (Teil 4)

Von Jürgen Dieter Ueckert

Besprechung der Auftakt-Inszenierung "My Fair Lady"

Süddeutscher Rundfunk
Zweites Programm-Hörfunk
Kulturreport regional – Württemberg
Freitag, den 19. November 1982, 19.30 Uhr


"My Fair Lady" zur festlichen Eröffnung des neuen Stadttheaters in Heilbronn. Als der Intendant mit die­sem Plan einst an die Öffentlichkeit getreten war, wurde von einigen Seiten der Bürgerschaft Heilbronns an der „würdelosen" Absicht Anstoß genommen.

Aber das Wunschstück des Heilbronner Oberbürgermeisters, das Musical von dem Blumenmädchen aus der Gosse, das dank der ruppigen Sprecherziehung eines Phonetik-Professors zur einer Lady herausgeputzt wird, ging dann doch matt beklatscht am Dienstag dieser Woche über die große Bühne des neuen Hauses.

Von einer Wiederkehr des Hoftheaters hatten böse Zungen in der Stadt gesprochen. Aber das hat Tradition. War doch der erste Theaterbau 1913 auch mit einem Stück eröffnet wor­den, das sich damals ein Fabrikant, ein nicht un­bedeutender Bürger der Stadt gewünscht und gleich selbst verfasst hatte.

Soweit war der im nächsten Jahr aus seinem Amt scheidende Oberbürgermeister Hans Hoffmann nicht gegangen. Für die Liebhaber der klassischen Theaterliteratur gibt es am morgigen Samstag in der zweiten Premiere einen Goethe-Faust-I in der Inter­pretation des Intendanten Klaus Wagner, der - wie schon gesagt - auch die Lady-Inszenierung besorgt hatte.

Die besondere Bemühung seines Theaters, so der Inten­dant in einem Artikel in seiner hauseigenen Theater-Zeitung mit der Überschrift 'Zukunft und Sinn für ein neues Theater", gelte der Eroberung des Musicals. „Anatevka“, „Irma la douce“, „Candide“ und jetzt „My Fair Lady“ - das sind beredte Zeugen in der zweijährigen Amtsperiode von Klaus Wagner für diesen Eroberungs­willen.

Wobei eine Eroberung im militärischen Sinn des Wortes wohl eher gemeint war - als in der betuli­chen, liebevoll tradierten Aufbereitung des Stückes. Wer „My Fair Lady“ hört, denkt vornehmlich an die Hollywood-Film-Fassung, denkt vielleicht an schmissige Melodien, eine muntere Choreografie kurz: an ein heiter bis­siges Spiel, das schließlich zu einem guten Ende kommt.

Nichts davon in der Wagner-Interpretation. Schlicht gesagt: vom Musical blieb ein wenig Gesang; und die Geschichte wurde aus der lässigen, großzügi­gen Musical-Show in die enge Puppenstube des 19. Jahrhundert zurückgepeitscht.

Kein Berliner Dialekt war in dieser deutschen Version zu hören, auch kein schwäbischer - wie Mutige vielleicht folgern würden - nein, man sprach ein Kauderwelsch aus dem dichten Wald deutscher Dialekte, vermischt mit dem Anklang von Ausländerdeutsch aller Schattierungen.

Selten war daher der Text der Sprecher oder Sänger – trugen sie ihn als Volk vor – zu verstehen. Vornehmlich wurde in dieser Auftaktinszenierung des neuen Heilbronner Theaters die Technik des Hauses vorgeführt: im ersten Bild eine Holzfassade des alten Heilbronner Theaters als Covent-Garden-Opera­-House gezeigt und vom Publikum dankbar beklatscht - ebenso wie der echte Theater-Regen, der auf die Bühne pras­selte.

Das Geschehen im Hause das Professor Higgins spielte sich dann in einem viktorianischen Gebäude ab, das die gesamte Bühne einnahm. Auf vier Stockwerken zeigte man ein Geschehen, das von der aufwen­digen Spielerei mit der Technik teilweise an den Rand gedrängt wurde.

Da wurden vom Hause des Pro­fessors, wie in einer Puppenstube, die Außenwände hochgezogen, damit der Zuschauer einsichtig ins Ge­schehen wurde; da gab es ein putziges Hafenbild mit
Butzenscheibenromantik, in dem Vater Doolittle und sei­ne Freunde herumturnten; und Mutter Higgins wohnte in einem Landhaus, das auf einem Kreidefelsen stand.

Eine sehr naive Auffassung von Theaterkulissen - verzerrt realistisch geboten - feierte seine Wiederauferstehung in der Dekoration von Günter Kup­fer. In die viktorianische Scheinidylle setze Wagner sein Zappel-Musical mit Marionetten-Figuren. Alles, was landläufig so bürgerlich-schön am Lady-Musical goutiert wird, wurde hier gegen den Strich gebürstet.

Eliza, das Blumenmädchen, hat in der Gestaltung von Madeleine Lienhard zu Beginn noch einen gewissen Charme von Gosse. Je mehr sie sich zur Dame von Welt erpresst und erpressen lässt, wird sie hässlicher - auch in ihrem körperlichen Verhalten. Ein steifer Oberkörper, herabhängende Arme, staksender Gang und ein auf den Hals gepresster Kopf machen aus dieser Dame einen dressierten Hund.

So wird die Eliza nicht schöner, sondern verbogener. Ihr Anbeter Freddy verkrümmt sich zu einem vor dem Hause des Professors schlafenden Tramp. Und die eigentlich vom spritzigen Humor lebende Story wird zu einer von Zwängen befrachteten Handlung, die sich mühsam und zäh dahin zieht.

Folgerichtig kriegen sich der Herr Professor und das Blumenmädchen in der Wagner Interpretation nicht. Man hielt sich damit an die Vorlage, an George Bernard Shaws „Pygmalion“-Schauspiel per mit dem riesigen Ödipus-Komplex beladene Higgins ist im starren System der Unveränderlichkeit gefangen.

Eliza aber hat sich verändert , als einzige im Stück, von der Natürlichkeit des Slums zur frustrierten Lady, geht mit dem Kapital, das ihr der Professor gab, in eine neue Zukunft als Sprecherzieherin. Ein typischer Schluss für Shaw-Komödien: die Narren werden gewechselt.

Aber von Komödie war in dieser Inszenierung kaum etwas zu spüren; auf jeden Fall gab es wenig zu lachen. Das war ein Schlag aus der Zauberkiste des „Nicht-Erwartbaren“, dem Motto das Intendanten und Regisseurs.

Jetzt fragt sich nur: warum ist „My Fair Lady“, das Musical, in Heilbronn auf offener Bühne exekutiert worden? Erobert wurde es damit wahrlich; eben nur um den Preis seiner Zerstörung. Mit dünnen Stimmen wurden die Lieder vor­getragen - warum also nicht gleich das Schauspiel „Pygmalion“?

Sicherlich ist es erlaubt, die Starrheit eines Welterfolgs, seine Sinnentleerung aufzudecken. Dazu wären aber Könner auf der Bühne notwendig gewesen. Als Ersatz gab es nur einen ungeheuer großen, bühnentechnischen Aufwand.

Klaus Wagner hat der frohgestimmten Heilbronner Theater-Bürgerschaft sein Lady-Experiment vorgeführt. Junge Schauspieler zeigten die schmale Bandbreite ihres Könnens in großen Rollen. Mir schien, als ob den mit tradierten Erwartungen ins Theater kommen­den Zuschauern ihre Lady zurück in ihren geistigen Schlund gestopft werden sollte.

Kumpans des mühsamen Spektakels, des Ensembles wur­den die Besucher in der Pause, in der der „Ball in der Botschaft" im Foyer stattfand - vor einem rie­sigen Adolf-Menzel-Bild, aus dem der König von Transsylvanien fettleibig hervortrat, um Eliza zum Tanz zu entführen. So hat Heilbronn seinen Tanz auf dem Theater-Vulkan begonnen.

Die nächsten Stücke: „Faust I“, „Mephisto“ von Mnouchkine und „Sturm im Wasser­glas“. Zu hoffen ist, dass die Frechheit der Theaters seine Fortsetzung findet. Vielleicht mit ein wenig mehr schauspielerischer Qualität.

M u s i k / Ende der Reportage

Stadttheater Heilbronn - Eröffnung des neuen Theaters 1982 - Teil 3

Eröffnung des Heilbronner Theaters, 1982

Eine Hörfunk-Reportage (Teil 3)

Von Jürgen Dieter Ueckert

Interview mit Klaus Wagner, Intendant

Süddeutscher Rundfunk
Zweites Programm-Hörfunk
Kulturreport regional – Württemberg
Freitag, den 19. November 1982, 19.30 Uhr


Klaus Wagner, seit 198o Nachfolger des einst 26 Jahre amtierenden Intendanten Walter Bison, auf dem Chef-Sessel des Heilbronner Theaters, hatte seine Amts­zeit unter das Motto „Vielfalt und Überraschung“ gestellt. Um die 705 Plätze im neuen Großen Haus und die 150 in der Studiobühne später einmal mit Besuchern füllen zu können, hatte er im Jahre 198o neben der Bühne im Gewerkschaftshaus-Provisorium auch noch ein Raum-Theater in der Alten Kelter, der ehemaligen Weinkelter Heilbronns erhalten.

In diesem zweiten Provisorium ließ er dann auch jene Stücke zur Premiere gelangen, die seinen Vorstellungen von Thea­ter entsprachen. Musicals wie „Anatevka“ und „Candide“ von Leonard Bernstein feierten dort vor ausverkauftem Hause ihre Triumphe.

Aber auch in der Personalpolitik drangen nur seine persönlichen Ansichten von Theater-Machen durch. So gibt es am Heilbronner Theater kei­ne festangestellten Regisseure. Entweder inszeniert der Intendant oder es werden Regie-Gäste verpflichtet.

Provinztheater will man ganz bewusst sein. Man ver­steht diesen Begriff nicht als Verkleinerung, so der Intendant, sondern als Aufgabe. Dazu gehört in Heil­bronn, dass das Ensemble sehr jung ist - zum großen Teil direkt von der Schauspielschule weg-engagiert.

Ich fragte Klaus Wagner, ob er es zum Prinzip an seinem Hause erhoben habe, junge Leute von den Schu­len direkt zu engagieren, um sie nach ein oder zwei Jahren fertiger oder weniger fertig an andere Theater in Deutschland weiterzugeben.(0-Ton)

Wagner: Das ist wahr. Das ist unsere Absicht. Es war die ganze Zeit eigentlich die Absicht des Theaterma­chens hier, weil ich denke - abgesehen von Heil­bronn - ist es für die Institution Theater eine ganz dringende Notwendigkeit, eine Sache, der Aufbau des Stadttheaters in Deutschland, das gibt es ja fast auf der ganzen Welt sonst nicht, als Qualität hat, als Qualität wie ein Gemüsebeet, Dinge zu pflegen, zu behüten, in eine Tradition und auch in einen stufen­weisen Fortgang zu bringen.

Und es war halt eine gute Sache, dass man in Mährisch-Ostrau vor fünfzig Jahren als junge Schauspieler dreißig Rollen im Jahr gespielt hat, um dann - bei allen Schrecklichkeiten und bei allen wunderbaren Dingen dieses Be­rufes - lernend und erfahrend nachher hinauszugehen, um mit der Professionalität, aber auch mit der inne­ren Reife in dem Beruf weiterzukommen.

Frage: Meinen Sie, dass das Publikum jetzt dieses Durchprobieren von Theater, das ja nun stattfinden muss mit einem solch jungen Ensemble, akzeptieren wird?

Wagner: Das Publikum ist ja nicht neu. Das Publikum sind die vielen Leute, die uns in den letzten zwei Jahren zugeströmt sind. Das muss man wirklich so sagen, obwohl es ein bisschen eitel klingt. Aber es hat ja auch eigentlich nicht mit unseren Personen, sondern eben mit dieser Besonderheit zu tun, die das Publi­kum hier mitgenommen hat, dass es nämlich das Thea­ter unter dem Begriff Erlebnisfähigkeit betrachtet werden kann. Und dass die Erlebnisfähigkeit beidersei­tig ist.

Frage: Sie haben einen verhältnismäßig modernen Spiel­plan - verglichen mit anderen Städten dieser Größe von Heilbronn. In welche Richtung geht Ihrer Ansicht nach dieser Spielplan?

Wagner: Das ist die Richtung Theater zu machen in der Vielfältigkeit, in der es dramatisches Angebot gibt, Theater heutiger Autoren wie Theater von Autoren, die klassische Texte uns hinterlassen haben, deren Lebendigkeit heute noch auffindbar ist.

Das Zweiter ist schwerer zu erobern wie das erstere oft. Und die Richtung ist eben diese Erlebnisfähigkeit in diesen verschiedenen Vorlagen immer wieder zur Wir­kung kommen zu lassen. Ich denke, dass der Anspruch, der in diesem Spielplan ist, sich immer wieder aus dieser Frage formuliert.

Ich glaube, dass das Publi­kum diesen Anspruch nimmt, weil nur von allzu ver­achtenden Leuten gesagt wird, dass das Publikum auf der niederen Ebene seine Ansprüche anmeldet.

Frage: Sie spielen aber nun doch anders Theater als das früher in Heilbronn der Fall war. Früher wurde viel von der Werktreue gesprochen, früher war ein Fünfzigjähriger auch mit einem Fünfzigjährigen be­setzt. Früher war ein junger Schauspieler gleichzeitig als Souffleur und als Inspizient beschäftigt. Sie spielen unter dem Motto 'Vielfalt und Überra­schung. Haben Sie sich Ihr Publikum erzogen oder ha­ben Sie sich ein neues herangeholt für diese Art Theater zu spielen?

Wagner: Ich weiß das nicht. Ich muss Ihnen sagen, ich glaube, es ist wie immer: es gibt darauf nicht nur eine Antwort, Das Publikum hat uns die Treue gehalten. Manche haben sicher durch die etwas geän­derten Grundvoraussetzungen einen gewissen Vorbehalt uns gegenüber. Manche werden auch böse geworden sein.

Oder sie werden ihre Ansprüche nicht erfüllt gesehen haben. Die meisten aber sind, weil sie eine prinzi­pielle Liebe dieser Institution entgegenbringen und weil sie unsere Andersgeartetheit nun trotzdem nicht für eine Gelegenheit oder einen Anlas zum Absprung, dabeigeblieben.

Ich versuche immer wieder zu sagen, dass das Nicht-Erwartbare eigentlich der Lebensnerv des Theaters ist. Und ich denke, das Publikum hat das Recht, das in diesem neuen Haus auch zu erwarten.

Frage: Das Erwartbare ist je das Gastspiel der Oper - das kommt. Da weiß man ungefähr, was kommt. Das kann man sich in Stuttgart, Mannheim, Ulm oder woanders vorher anschauen. Bei Ihnen im Schauspiel ist das Gegenstück dazu geboten.

Wagner: Ich will da nicht falsch verstanden werden. Es ist ja nicht so, dass wir meinen, wir machen nicht das, was man unter Werktreue versteht. Wir versu­chen keine Interpretationen im Sinn – „von jetzt machen wir alles anders“. Wir versuchen nicht, uns für wichti­ger zu halten als den Text des Autors. Wir versuchen ihm gegenüber redlich zu sein, dem, was da steht gegenüber und unsere eigene Aufrichtigkeit ins Feld zu führen.

Und das bringt uns zu Ergebnissen, die theatralische, lebendige Ergebnisse sind, nicht immer zu Ergebnissen, die erfolgreich sind, nicht immer zu Ergebnissen, die von allen positiv gewertet werden - um Gottes Willen, das wäre ja auch ganz schrecklich, wenn das im Theater so wäre. Dann könn­te man sich ja die Video-Aufzeichnung irgendeiner Modellinszenierung ansehen.

M u s i k

(Siehe Teil 4)

Stadttheater Heilbronn - Eröffnung des neuen Theaters 1982 - Teil 2

Eröffnung des Heilbronner Theaters, 1982

Eine Hörfunk-Reportage (Teil 2)
Von Jürgen Dieter Ueckert

Interview mit Kurt Gerling, Theater-Architekt

Süddeutscher Rundfunk
Zweites Programm-Hörfunk
Kulturreport regional – Württemberg
Freitag, den 19. November 1982, 19.30 Uhr


Geplant hatte den Neubau des Heilbronner Theaters im Jahre 1961 Professor Gerhard Graubner aus Hanno­ver. Die Bühnentechnik sollte vom Berliner Büro des Professors Thomas Münther erarbeitet werden. Diese beiden Planer jedoch verstarben während der Jahrzehn­te andauernden Planungsphase des Heilbronner Theaters.

Die Nachfolger der beiden Herren, Rudolf Biste und Kurt Gerling, zeichneten letztlich für den Sau in seiner heutigen Form verantwortlich. ”Prachtbau oder Zweck­bau“ - das sind Schlagworte aus vergangenen, heftig, geführten Auseinandersetzungen in Heilbronn.

Ich fragte daher den verantwortlichen Architekten, der die 21 jährige Planungs- und Baugeschichte des Hau­ses direkt miterlebt hatte, Kurt Gerling, nach sei­ner Ansicht zu diesen beiden Schlagworten: (0-Ton)

Gerling: Das ist ein ausgesprochener Zweckbau, wobei man nicht verhehlen kann, dass die äußere Erscheinung etwas Prächtiges - in Anführungsstrichen - an sich hat. Die eingesetzten Materialien haben noch den Ruch den Eleganten, des Teuren. Und - da kommt man sehr schwer davon herunter. Sie sind aber ausgespro­chen - erstmals preiswert, sind haltbar und wenig anfällig, was den Unterhalt der Gebäude antrifft.

Frage: Nun gab es vor wenigen Tagen Auseinandersetz­ungen um die Plätze im neuen Großen Haus. Man behaup­tete, an die fünfzig Plätze oder noch mehr seien so gestaltet, dass man nicht auf die Bühne sehen könn­te. Welchen Hintergrund haben diese Vorwürfe und wie können Sie denen begegnen ?

Gerling: Ja, dazu muss man wieder ein bisschen in die Geschichte gehen. 1974, als die Stadt Heilbronn wie­der anfing, über den Neubau nachzudenken, hat man nach gründlicher Diskussion und Anhörung von Gutach­tern ein Programm verabschiedet, das so aussah, dass man für Schauspiel-Veranstaltungen etwa 500 , 550 Plätze haben wollte und für Musiktheater etwa 150 mehr, bis 200 maximal - also 750.

Wir haben darauf­hin den Entwurf, und zwar den Zuschauerraum selbst des Großen Hauses. überarbeitet und haben die 55o Plätze für Schauspielveranstaltungen ausschließlich im Parkett untergebracht und daraufhin auch alle Bezüge, die wichtig sind, Sicht-Bezüge, akustische Din­ge und dergleichen mehr, konzipiert und geplant.

Die Plätze auf des Rang sind ausschließlich für die Er­weiterung Musiktheater gedacht. Man hat seinerzeit auch noch, um das deutlich zu machen, an eine mecha­nisch absenkbare Trennwand gedacht und ein Decken­teil sollte auch veränderbar sein, um das Volumen
der jeweiligen Nutzung anzupassen.

Und nun ist die Situation die, dass das Interesse der Heilbronner Be­völkerung so ungeheuer groß ist an dem neuen Haus, dass das Theater - ja eigentlich irgendwo ganz gerne alle Plätze verkaufen möchte, auch für Schauspiel-Veranstaltungen.

Und das ist auch geschehen. Und nun sieht man von den Seitenrang-Plätzen, das sind auf jeder Seite etwa 25, 30 bestimmte Seitenbereiche
im Zuschauerraum , in der Bühne, so kleine Zwickel, die sieht man nicht voll ein. Aber das ist eine Erscheinung, die eigentlich in jedem Rangtheater auftritt. Das ist nichts Außergewöhnliches.

Frage: Dieses Theater ist ja - wenn man es sich jetzt anschaut - als Gebäudekomplex ein Torso ge­blieben. Es fehlt der Kulturanbau. Man hat die eine Wand - ansonsten ist das Theater ja mit Kupfer verkleidet und mit Sandstein – man hat die eine Wand weiß gelassen, um wahrscheinlich deutlich zu machen, dass es ein Torso ist. Sind Sie sehr glücklich mit diesem Gebäudekomplex, der eigentlich nicht fertig ist?

Gerling: Nein, da kann kein Architekt glücklich sein, wenn nur die Hälfte dessen steht, was als Ganzes irgendwann mal auf den Platz muss. Aber es ist ja
so, dass die Heilbronner die Absicht haben, diesen Anbau zu machen. In der längerfristigen Finanzplanung sind auch Zielvorstellungen vorgegeben. Wir hoffen, dass es diesmal schneller geht als beim Theater und nicht wieder zwanzig Jahre vergehen bis da irgend etwas als Westabschluss des Berliner Platzes ent­steht.

Frage: Es gibt viel Streit über die Kosten für das Theater. Wenn Sie jetzt den Theaterbau für sich neh­men - es gibt ja auch andere Städte, die ein Theater gebaut haben, da werden Tiefgaragen und Verlegung einer Straße nicht hinzugerechnet - den Theaterbau für sich nehmen, wie teuer war der jetzt, zum jetzi­gen Zeitpunkt gesehen ?

Gerling: Das Heilbronner Theater hat oder wird 54 Millionen Mark kosten - reine theaterbezogene Kosten. Alles andere sind Dinge, die zwar irgendwo durch das Theater verursacht sind, aber nicht unmittelbar mit den Baukosten etwas zu tun haben. Und wenn man jetzt mal einen Vergleich ziehen will zu einigen an­deren Theaterbauten, vielleicht auch der letzten Zeit, dann ist Heilbronn trotz der recht aufwendigen tech­nischen Ausstattung noch ein preiswertes Theater, denn dieses Haus kostet pro Kubikmeter nur 815 Mark, Esslingen liegt etwas über 1.000 Mark, wie ich in­zwischen gehört habe, und es gibt einige andere Pla­nungen im Lande, die auch so um 1.000 Mark herum liegen.

Frage: Die Ausstattung im Foyer zum Beispiel und auch die Ausstattung im Zuschauerraum sieht doch verhältnismäßig prächtig aus - jetzt verglichen mit anderen Theatern. Wie war da die Konzeption? Wollten Sie dem Heilbronner Theater so etwas verleihen, sollte ihm so etwas verliehen werden wie das bürger­liche Flair, in dem ganz bestimmte Kreise sich wohl­fühlen?

Gerling: Ja, bürgerliches Flair ist richtig, das wollten wir schon. Nur auf ganz bestimmte Kreise möchte ich es nicht beschränken. Aber das Ganze hat durchaus einen realen Hintergrund. Untersuchungen, die vor einigen Jahren durchgeführt worden sind, ha­ben gezeigt, dass das Desinteresse der Bevölkerung in den Fünfziger Jahren nicht nur auf falsches Thea­terspiel und solche Dinge beruht, sondern dass auch die Atmosphäre in den Häusern ein gut Teil daran Schuld ist.

Und es hat sich also gezeigt, dass die nüchternen, sehr nüchternen Theaterbauten der Fünf­ziger Jahre und Sechziger auch noch, einen ganz bestimmten Erlebnishintergrund, den die Besucher er­warten, nicht erfüllen kann. Die Räume sind einfach zu nüchtern. Man hat nicht einen Rahmen, in dem der Besucher sich angemessen darstellen kann, sich wohlfühlt . Und solche Dinge sind wichtig.

Wir haben nun versucht, diese Lücke, die da entstanden ist, im Foyer zu füllen. Das Foyer ist so konzipiert, dass wir da zwar gewisse Eleganz , wenn Sie so wollen, und auch edlere Materialien eingesetzt haben, aber das Ganze immerhin so zurückhaltend gestaltet haben, dass die Besucher und das, was darin stattfinden soll, immer noch die Hauptsache bleiben.

M u s i k

(Siehe Teil 3 )

Stadttheater Heilbronn - Eröffnung des neuen Theaters 1982 - Teil 1

Eröffnung des Heilbronner Theaters, 1982

Eine Hörfunk-Reportage (Teil 1)

Von Jürgen Dieter Ueckert

Die zweite Jahrhundert-Eröffnung

Süddeutscher Rundfunk
Zweites Programm-Hörfunk
Kulturreport regional – Württemberg
Freitag, den 19. November 1982, 19.30 Uhr


Moderator: Guten Abend, verehrte Hörer. Es war das regionale Kulturereignis im Raume Württemberg in die­ser vergangenen Woche die Eröffnung des neuen Heil­bronner Stadttheaters. Fast ungläubig nimmt man es wahr, fragt sich, ob es nicht doch nur eine Fata morgens sei, was da mitten in unserer vielbeschworenen Krise aus dem Boden gewachsen ist.

Wenn das Heilbronner Theater, das Neue, in diesen Tagen immer mit dem an­deren, eben eröffneten Neubau der Württembergischen Landesbühne in Esslingen in einem Atemzug genannt wird, so stimmt dieser Vergleich doch nur sehr bedingt. Im Verhältnis zum Stadttheater Heilbronn – Kosten 67 Millionen Mark - ist der Esslinger Bau für 18 Millionen schon beinahe ein Provisorium. Das Heil­bronner Theater lässt baulich wie technisch kaum etwas zu wünschen übrig, und die Frage, die sich jetzt stellt, zielt ausschließlich in die Zukunft: Können die Heilbronner finanziell und künstlerisch der Herausforderung, die dieser Theaterbau für sie bedeutet, gerecht werden.

Die festliche Premiere am vergangenen Dienstag mit dem Musical „My Fair Lady“, nicht etwa mit dem „Käthchen von Heilbronn“, verhieß da nichts Gutes. Doch es geht nun Schlag auf Schlag. Schon folgen Morgen Goethes „Faust“ und danach Mnouchkines „Mephisto“. Man darf gespannt sein. Jürgen Dieter Ueckert hat sich im Heilbronner Theater umgesehen, hat mit Intendant und Architekt gesprochen. Und er war selbstverständlich auch bei der Eröffnungspremiere dabei.

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In anderen Bundesländern spricht man über die Schließung von Stadttheatern. In Baden-Württemberg wurden 1982 zwei Theater-Neubauten eingeweiht: am 1. Sep­tember das Stadttheater für die Württembergische Landsbühne in Esslingen, das Stammhaus für die Wanderbühne, und am Dienstag dieser Woche – am 16. November - das neue Haus des Stadttheaters Heilbronn.

Knapp 18 Millionen Mark haben sich die Esslinger ihr Theater kosten lassen. In Heilbronn sind für den Neu­bau stolze 67,3 Millionen Mark ausgegeben worden. Wo­bei in dieser Summe sieben Millionen Mark für thea­terbezogene PKW-Abstellplätze in einer Tiefgarage und 3,1 Millionen Mark für die Geradeausführung der Heilbronner Prachtstraße Allee, sowie für eine Fuß­gängerunterführung enthalten sind.

Man kann sich da­rüber streiten, ob diese zehn Millionen Mark zu einem Theater-Neubau hinzugerechnet werden müssen. Hefti­ge Befürworter in Heilbronn lassen sie weg, Theater-Gegner und die Stadt rechnen sie hinzu. In der Ess­linger Rechnung sind derartige Kosten jedoch nicht enthalten.

Trotz der angespannten Finanzlage der Städte, am Er­öffnungstag spielte der Streit ums Geld in Heilbronn keine herausragende Rolle. Schließlich waren die rund sieben Hundert Ehrengäste kostenlos ins Theater gelangt, und auch die Häppchen am Kalten Buffet gab es zum Null-Tarif.

Und da in Heilbronn sich viele Men­schen zur Prominenz zählen, veranstaltete die Stadt am Mittwoch noch einmal einen Abend für 705 Gäste-- mit dem gleichen Programm: Reden zur Einstimmung, „My Fair Lady“ zur Unterhaltung, Essen und Trinken in einer Dreiviertel-Stunden-Pause zur Stärkung und den Schluss der Blumenmädchen-Geschichte als Nachthupferl. Viereinhalb Stunden dauerte das Spek­takel an jedem Abend.

Am morgigen Samstag veranstaltet das „Theater Heilbronn“ - wie das Stadttheater von Seiten der Intendanz des Hau­ses genannt wird, eine Premiere für jene, denen das amerikanische Musical zu wenig dramatisch und deutsch für die Einweihung eines neuen Theaterbaus gewesen ist. „Faust I“ wird in der Inszenierung des Intendanten Klaus Wagner gegeben. Und er zeichnet auch für die Regie beim Musical verantwortlich.

Heilbronn feierte mit dieser Theater-Eröffnung zum zweiten Mal in unserem Jahrhundert die Premiere eines Neubaus. Das erste vollwertige Theater-Gebäude, der Jugendstilbau des Münchner Architekten Theodor Fi­scher, war am 3o. September 1913 am Nordende der da­mals noch dank vieler Bäume ihrem Namen alle Ehre machenden Prachtstraße Allee eingeweiht worden.

Die­ses Haus war im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt und 1970 schließlich gesprengt worden. Vor 12 Jahren schon wollte man mit einem Neubau beginnen. Aber 21 Jahre benötigte die Stadt vom ersten Gutachten bis zur ersten Premiere im neuen Haus auf dem Berliner Platz. Und 31 Jahre wurde im Provisorium, im Saal des Gewerkschaftshauses in der Gartenstraße, unter denkbar schlechten Bedingungen der Theatergedanke wacker hochgehalten.

Die Zeiten für die Kunst verdüsterten sich bisher, wenn in Heilbronn ein Theater eingeweiht wurde. Beim ersten Theaterbau begann wenige Monate später der Erste Weltkrieg. Und heute sind Signale für ein Thea­terleben eher Warnsignale aus den Finanzdezernaten der Rathäuser .

So ist der Heilbronner Theaterneu­bau auf dem Berliner Platz auch nur ein Gebäude­teil des geplanten Gesamtkomplexes, dessen sogenann­ter Kulturanbau für Jugendmusik- und Volkshochschule vorläufig aus finanziellen Gründen nur als Baumodell existiert. 18 bis 2o Millionen Mark wird dieser Anbau noch kosten.

Heilbronns Oberbürgermeister Hans Hoffmann verdeut­lichte in seiner Eröffnungsansprache die Finanzsor­gen seiner Stadt: (O-Ton)

„Eine Stadtverwaltung ist im Grunde ein einziger Dienstleistungsbetrieb mit einer Fülle von Anforderun­gen. Dabei steht die Kultur gewiss nicht an letzter Stelle. Aber auch sie hat sich an den finanziellen Möglichkeiten zu orientieren. Und diese sind nicht unbegrenzt. Ja, sie sind heute geringer als noch vor einigen Jahren. Ich sage dies in aller Deutlichkeit ganz bewusst am Tag der Premiere, dabei betonend, dass ich zu diesem Theater und zu seiner kulturellen Auf­gabe stehe und es bejahe."

Und der baden-württembergische Minister für Wissen­schaft und Kunst Professor Helmut Engler legte sich: (O-Ton)

„Das Land wird unter Berücksichtigung der finanziel­len Lage auch in der Zukunft bemüht sein, in diesem Bereich seine schon bisher bewährte Subventionspoli­tik fortzuführen."

Dafür gab es unter den Ehrengästen der Eröffnungsver­anstaltung nur eitel Sonnenschein. Nach ihrem ersten Eindruck vom Neubau fragte ich im plüschigen Foyer flanierende Besucher: (O-Ton)

- „Für uns Heilbronner ist es zunächst einmal eine faszinierende Angelegenheit, was in diesem neuen Hause technisch alles möglich ist.“
- „Die Atmosphäre hier draußen gefällt mir sehr gut im Foyer.“
- „Ja, ich glaub, dass es für mich und alle, die hier
anwesend sind, eine große angenehme Überraschung ist. Und wenn es möglich ist, dieses Niveau hier weiter halten zu können, dann glaube ich, dass Heilbronn ei­nen ganz großen Gewinn erzielt hat mit dem Bau von diesem Theater.“
- „Ich hatte erst gedacht, die My Fair Lady wär kein Stück, kein günstiges Stück für den Start. Aber ich finde, es ist eigentlich gerade sehr reizvoll, weil es so ganze Möglichkeiten ausschöpft, die das Thea­ter technisch hat. Und sie spielen ganz entzückend."
- „Ich hätt mir vielleicht ein anderes Stück ausgesucht. Aber so wie es dargeboten ist, ist es recht nett.“
- „Und ich hin froh, dass der heutige Tag endlich da ist, auf den wir solange gewartet haben.“
- „Ich hoffe und ich wünsche, dass das Haus immer sehr oft voll sein wird.“
- „Zunächst mal bin ich als Abgeordneter kein Theater­routinier. Aber aus meiner Sicht, aus meiner Empfin­dung ist das bis zur Mitte dieser Vorstellung ein gelungener Abend. Es ist ein Theater, das von der Atmosphäre und vor allen Dingen von der Intimität her maßgeschneidert ist auf die Proportionen Heil­bronns - rundum gelungen.“
- „Also auf mich wirkte völlig gewohnt schon - als wär es schon immer hier.“
- „Ja, no - wenn man das alte Theater gekannt hat, möchte ich sagen, dieser neue Theaterbau ist in der neuen Zeit, die wir jetzt haben, im Stil sehr gut gelungen. Und man muss sich erst wieder reinfühlen, weil wir - seither, das kann man ruhig sagen - fast theaterlos waren.“
- „Ich hab das alte noch in Erinnerung - als Mädchen. Und für mich war es heute ein besonderer Eindruck, dass in Heilbronn wieder ein Theater erstanden ist. Und das kulturelle Leben kommt wieder in Schwung in Heilbronn.- „Ich habe mit einer von meine Landsleute gesprochen. Aus Großbritannien. Und er hat gesagt, dass er auch in London kein solch schönes Theater gesehen als hier in Heilbronn Und das ist - darf man sagen - was Bedeutendes. Weil - in London glauben wir, dass wir das beste Theater, die Stücke in der Welt haben. Und deshalb bin ich besonders beeindruckt von diesem Haus hier in Heilbronn.“


M u s i k

(Siehe Teil 2)

Stadttheater Heilbronn - Bau eines neuen Theaters - Kommentar (1980)

Kommentar im "Theaterblatt" des Heilbronner Theaters

Spaß ohne Werktreue

Von Jürgen Dieter Ueckert

Wenn man an Sitzungen des Gemeinderats im Heilbronner Rathaus teilnimmt - vor allem als Zuschauer, dann sieht man durchaus gutes Theater in Heilbronn. Die Ansicht eines Spötters. Richtig an dieser Bemerkung ist: Auf dem Rathaus hatte man sich nahezu drei Jahrzehnte über den Bau des Theaters gestritten. Die Bilanz: drei Dekaden Theater-Provisorium im Gewerkschaftshaus und jetzt der Theater-Neubau, der auf dem Berliner Platz aus dem Boden schießt.

„Das Theater muß nämlich durchaus etwas Überflüssiges bleiben dürfen, was freilich dann bedeutet, daß man für den Überfluß lebt." - Bertolt Brechts Aussage gilt nicht für Heil­bronn. Gründe für die akulturelle Grundsituation Heilbronns werden gern angeführt, gipfeln im Vorwurf „Du Stadt der Krämerseelen", und geraten trotzdem immer wieder in Vergessenheit. Feststeht: Das Kommerzielle hat in Heilbronn immer Vorrang vor dem Kulturellen gehabt. Und das wird sich kaum ändern.

Theater in Heilbronn besaß bisher nicht die Bedeutung, die es in Ulm, Tübingen oder Heidelberg hatte. Es gab in Kleists Käthchenstadt keine be­deutenden Uraufführungen, keine Schauspieler und Regisseure, die das deutsche und internationale Theater von dieser Stätte aus zu verändern begannen. Die Voraussetzungen dafür werden auf dem Berliner Platz geschaffen. Jetzt wird's auf den Inhalt ankommen.

Wird es 1982 beim Umzug ins neue Haus das endgültige „Aus" für die Heilbronner Kultur-Nachkriegszeit geben? Bisher spielte man im Heil­bronner Theater unter dem Oberbe­griff „Werktreue". Ein Begriff, der in der theoretischen wie praktischen Welt des Theaters nicht existiert. Schaut man auch in einigen Lexika fürs Theater nach, man sucht ihn ver­gebens.

Verpflichtet fühle man sich beim Werktreue-Theater dem Dichter, sonst niemandem. So lauteten die Worte der Heilbronner Erklärung für den Begriff. Man wolle das Stück vom Blatt spielen, unverfälscht. Dramatische Literatur soll bei der Probenarbeit zum Theaterspiel umgeformt werden. Und dabei arbeitet man oft länger als der Dichter an der Herstellung der Textvorlage. Theater setzt Texte um, die vorher Gerippe waren.

Theater wie zu Zeiten der alten Griechen, Shakespeares oder Moliéres - das klappt nicht und wäre auch dumm. Das Wörtchen Werktreue, in sich romantisch und deutschtümelnd, bezeichnet die Abwehr. Gegen den übermächtigen Einfluß der Politik im Theater, ein literarischer Strohhalm für Gustaf Gründgens. Der Theater­mann, der die Begrifflichkeit der Nazis verwandte, um im Schutze ihres Wortes seine Auffassung von Theater her­stellen zu können. Hintergrund: Gesamtkunstwerk, Originalgenie, Kunst als anbetungswürdiger Ersatz. Eine „L’art pour l’art“-Haltung, die Theaterhersteller zu Sklaven macht.

Werktreue heißt eingestehen, das eigene Wollen nicht verwirklichen zu können. Das Leben – nichts als Treue. Theater als Kunsthandwerk. Regisseure als Nachmaler eines einmal hergestellten, unveränderbaren Gemäldes. Besser scheint mir: Literatur nach- und neuzudenken, umzuformulieren für die Bühne. Nicht den Text abzuschnurren lassen, sondern die Alltäglichkeit der großen Themen wieder auffinden.

Mündige Theaterleute müssen für die „Überflüssigkeit“ Theater leben – sie erleben können. Gefällige Schwätzer schöngeistiger Worte für die Satten und Mächtigen– das sollte gewesen sein. Die Bühne: Ein Spiel von mündigen für mündige Menschen. Dann macht Theater auch Spaß.

Theaterblatt, Stadttheater Heilbronn, Januar 1980