Eröffnung des Heilbronner Theaters, 1982
Eine Hörfunk-Reportage (Teil 3)
Von Jürgen Dieter Ueckert
Interview mit Klaus Wagner, Intendant
Süddeutscher Rundfunk
Zweites Programm-Hörfunk
Kulturreport regional – Württemberg
Freitag, den 19. November 1982, 19.30 Uhr
Klaus Wagner,
seit 198o Nachfolger des einst 26 Jahre amtierenden Intendanten Walter
Bison, auf dem Chef-Sessel des Heilbronner Theaters, hatte seine
Amtszeit unter das Motto „Vielfalt und Überraschung“ gestellt. Um die
705 Plätze im neuen Großen Haus und die 150 in der Studiobühne später
einmal mit Besuchern füllen zu können, hatte er im Jahre 198o neben der
Bühne im Gewerkschaftshaus-Provisorium auch noch ein Raum-Theater in der
Alten Kelter, der ehemaligen Weinkelter Heilbronns erhalten.
In
diesem zweiten Provisorium ließ er dann auch jene Stücke zur Premiere
gelangen, die seinen Vorstellungen von Theater entsprachen. Musicals
wie „Anatevka“ und „Candide“ von Leonard Bernstein feierten dort vor
ausverkauftem Hause ihre Triumphe.
Aber auch in der
Personalpolitik drangen nur seine persönlichen Ansichten von
Theater-Machen durch. So gibt es am Heilbronner Theater keine
festangestellten Regisseure. Entweder inszeniert der Intendant oder es
werden Regie-Gäste verpflichtet.
Provinztheater will
man ganz bewusst sein. Man versteht diesen Begriff nicht als
Verkleinerung, so der Intendant, sondern als Aufgabe. Dazu gehört in
Heilbronn, dass das Ensemble sehr jung ist - zum großen Teil direkt von
der Schauspielschule weg-engagiert.
Ich fragte Klaus Wagner,
ob er es zum Prinzip an seinem Hause erhoben habe, junge Leute von den
Schulen direkt zu engagieren, um sie nach ein oder zwei Jahren fertiger
oder weniger fertig an andere Theater in Deutschland
weiterzugeben.(0-Ton)
Wagner: Das ist wahr. Das
ist unsere Absicht. Es war die ganze Zeit eigentlich die Absicht des
Theatermachens hier, weil ich denke - abgesehen von Heilbronn - ist es
für die Institution Theater eine ganz dringende Notwendigkeit, eine
Sache, der Aufbau des Stadttheaters in Deutschland, das gibt es ja fast
auf der ganzen Welt sonst nicht, als Qualität hat, als Qualität wie ein
Gemüsebeet, Dinge zu pflegen, zu behüten, in eine Tradition und auch in
einen stufenweisen Fortgang zu bringen.
Und es war
halt eine gute Sache, dass man in Mährisch-Ostrau vor fünfzig Jahren als
junge Schauspieler dreißig Rollen im Jahr gespielt hat, um dann - bei
allen Schrecklichkeiten und bei allen wunderbaren Dingen dieses Berufes
- lernend und erfahrend nachher hinauszugehen, um mit der
Professionalität, aber auch mit der inneren Reife in dem Beruf
weiterzukommen.
Frage: Meinen Sie, dass das
Publikum jetzt dieses Durchprobieren von Theater, das ja nun stattfinden
muss mit einem solch jungen Ensemble, akzeptieren wird?
Wagner:
Das Publikum ist ja nicht neu. Das Publikum sind die vielen Leute, die
uns in den letzten zwei Jahren zugeströmt sind. Das muss man wirklich so
sagen, obwohl es ein bisschen eitel klingt. Aber es hat ja auch
eigentlich nicht mit unseren Personen, sondern eben mit dieser
Besonderheit zu tun, die das Publikum hier mitgenommen hat, dass es
nämlich das Theater unter dem Begriff Erlebnisfähigkeit betrachtet
werden kann. Und dass die Erlebnisfähigkeit beiderseitig ist.
Frage:
Sie haben einen verhältnismäßig modernen Spielplan - verglichen mit
anderen Städten dieser Größe von Heilbronn. In welche Richtung geht
Ihrer Ansicht nach dieser Spielplan?
Wagner: Das
ist die Richtung Theater zu machen in der Vielfältigkeit, in der es
dramatisches Angebot gibt, Theater heutiger Autoren wie Theater von
Autoren, die klassische Texte uns hinterlassen haben, deren Lebendigkeit
heute noch auffindbar ist.
Das Zweiter ist schwerer zu
erobern wie das erstere oft. Und die Richtung ist eben diese
Erlebnisfähigkeit in diesen verschiedenen Vorlagen immer wieder zur
Wirkung kommen zu lassen. Ich denke, dass der Anspruch, der in diesem
Spielplan ist, sich immer wieder aus dieser Frage formuliert.
Ich
glaube, dass das Publikum diesen Anspruch nimmt, weil nur von allzu
verachtenden Leuten gesagt wird, dass das Publikum auf der niederen
Ebene seine Ansprüche anmeldet.
Frage: Sie
spielen aber nun doch anders Theater als das früher in Heilbronn der
Fall war. Früher wurde viel von der Werktreue gesprochen, früher war ein
Fünfzigjähriger auch mit einem Fünfzigjährigen besetzt. Früher war ein
junger Schauspieler gleichzeitig als Souffleur und als Inspizient
beschäftigt. Sie spielen unter dem Motto 'Vielfalt und Überraschung.
Haben Sie sich Ihr Publikum erzogen oder haben Sie sich ein neues
herangeholt für diese Art Theater zu spielen?
Wagner:
Ich weiß das nicht. Ich muss Ihnen sagen, ich glaube, es ist wie immer:
es gibt darauf nicht nur eine Antwort, Das Publikum hat uns die Treue
gehalten. Manche haben sicher durch die etwas geänderten
Grundvoraussetzungen einen gewissen Vorbehalt uns gegenüber. Manche
werden auch böse geworden sein.
Oder sie werden ihre
Ansprüche nicht erfüllt gesehen haben. Die meisten aber sind, weil sie
eine prinzipielle Liebe dieser Institution entgegenbringen und weil sie
unsere Andersgeartetheit nun trotzdem nicht für eine Gelegenheit oder
einen Anlas zum Absprung, dabeigeblieben.
Ich versuche
immer wieder zu sagen, dass das Nicht-Erwartbare eigentlich der
Lebensnerv des Theaters ist. Und ich denke, das Publikum hat das Recht,
das in diesem neuen Haus auch zu erwarten.
Frage:
Das Erwartbare ist je das Gastspiel der Oper - das kommt. Da weiß man
ungefähr, was kommt. Das kann man sich in Stuttgart, Mannheim, Ulm oder
woanders vorher anschauen. Bei Ihnen im Schauspiel ist das Gegenstück
dazu geboten.
Wagner: Ich will da nicht falsch
verstanden werden. Es ist ja nicht so, dass wir meinen, wir machen nicht
das, was man unter Werktreue versteht. Wir versuchen keine
Interpretationen im Sinn – „von jetzt machen wir alles anders“. Wir
versuchen nicht, uns für wichtiger zu halten als den Text des Autors.
Wir versuchen ihm gegenüber redlich zu sein, dem, was da steht gegenüber
und unsere eigene Aufrichtigkeit ins Feld zu führen.
Und
das bringt uns zu Ergebnissen, die theatralische, lebendige Ergebnisse
sind, nicht immer zu Ergebnissen, die erfolgreich sind, nicht immer zu
Ergebnissen, die von allen positiv gewertet werden - um Gottes Willen,
das wäre ja auch ganz schrecklich, wenn das im Theater so wäre. Dann
könnte man sich ja die Video-Aufzeichnung irgendeiner
Modellinszenierung ansehen.
M u s i k
(Siehe Teil 4)
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