Eröffnung des Heilbronner Theaters, 1982
Eine Hörfunk-Reportage (Teil 4)
Von Jürgen Dieter Ueckert
Besprechung der Auftakt-Inszenierung "My Fair Lady"
Süddeutscher Rundfunk
Zweites Programm-Hörfunk
Kulturreport regional – Württemberg
Freitag, den 19. November 1982, 19.30 Uhr
"My
Fair Lady" zur festlichen Eröffnung des neuen Stadttheaters in
Heilbronn. Als der Intendant mit diesem Plan einst an die
Öffentlichkeit getreten war, wurde von einigen Seiten der Bürgerschaft
Heilbronns an der „würdelosen" Absicht Anstoß genommen.
Aber
das Wunschstück des Heilbronner Oberbürgermeisters, das Musical von dem
Blumenmädchen aus der Gosse, das dank der ruppigen Sprecherziehung
eines Phonetik-Professors zur einer Lady herausgeputzt wird, ging dann
doch matt beklatscht am Dienstag dieser Woche über die große Bühne des
neuen Hauses.
Von einer Wiederkehr des Hoftheaters
hatten böse Zungen in der Stadt gesprochen. Aber das hat Tradition. War
doch der erste Theaterbau 1913 auch mit einem Stück eröffnet worden,
das sich damals ein Fabrikant, ein nicht unbedeutender Bürger der Stadt
gewünscht und gleich selbst verfasst hatte.
Soweit war
der im nächsten Jahr aus seinem Amt scheidende Oberbürgermeister Hans
Hoffmann nicht gegangen. Für die Liebhaber der klassischen
Theaterliteratur gibt es am morgigen Samstag in der zweiten Premiere
einen Goethe-Faust-I in der Interpretation des Intendanten Klaus
Wagner, der - wie schon gesagt - auch die Lady-Inszenierung besorgt
hatte.
Die besondere Bemühung seines Theaters, so der
Intendant in einem Artikel in seiner hauseigenen Theater-Zeitung mit
der Überschrift 'Zukunft und Sinn für ein neues Theater", gelte der
Eroberung des Musicals. „Anatevka“, „Irma la douce“, „Candide“ und jetzt
„My Fair Lady“ - das sind beredte Zeugen in der zweijährigen
Amtsperiode von Klaus Wagner für diesen Eroberungswillen.
Wobei
eine Eroberung im militärischen Sinn des Wortes wohl eher gemeint war -
als in der betulichen, liebevoll tradierten Aufbereitung des Stückes.
Wer „My Fair Lady“ hört, denkt vornehmlich an die
Hollywood-Film-Fassung, denkt vielleicht an schmissige Melodien, eine
muntere Choreografie kurz: an ein heiter bissiges Spiel, das
schließlich zu einem guten Ende kommt.
Nichts davon in
der Wagner-Interpretation. Schlicht gesagt: vom Musical blieb ein wenig
Gesang; und die Geschichte wurde aus der lässigen, großzügigen
Musical-Show in die enge Puppenstube des 19. Jahrhundert
zurückgepeitscht.
Kein Berliner Dialekt war in dieser
deutschen Version zu hören, auch kein schwäbischer - wie Mutige
vielleicht folgern würden - nein, man sprach ein Kauderwelsch aus dem
dichten Wald deutscher Dialekte, vermischt mit dem Anklang von
Ausländerdeutsch aller Schattierungen.
Selten war daher
der Text der Sprecher oder Sänger – trugen sie ihn als Volk vor – zu
verstehen. Vornehmlich wurde in dieser Auftaktinszenierung des neuen
Heilbronner Theaters die Technik des Hauses vorgeführt: im ersten Bild
eine Holzfassade des alten Heilbronner Theaters als
Covent-Garden-Opera-House gezeigt und vom Publikum dankbar beklatscht -
ebenso wie der echte Theater-Regen, der auf die Bühne prasselte.
Das
Geschehen im Hause das Professor Higgins spielte sich dann in einem
viktorianischen Gebäude ab, das die gesamte Bühne einnahm. Auf vier
Stockwerken zeigte man ein Geschehen, das von der aufwendigen Spielerei
mit der Technik teilweise an den Rand gedrängt wurde.
Da
wurden vom Hause des Professors, wie in einer Puppenstube, die
Außenwände hochgezogen, damit der Zuschauer einsichtig ins Geschehen
wurde; da gab es ein putziges Hafenbild mit
Butzenscheibenromantik,
in dem Vater Doolittle und seine Freunde herumturnten; und Mutter
Higgins wohnte in einem Landhaus, das auf einem Kreidefelsen stand.
Eine
sehr naive Auffassung von Theaterkulissen - verzerrt realistisch
geboten - feierte seine Wiederauferstehung in der Dekoration von Günter
Kupfer. In die viktorianische Scheinidylle setze Wagner sein
Zappel-Musical mit Marionetten-Figuren. Alles, was landläufig so
bürgerlich-schön am Lady-Musical goutiert wird, wurde hier gegen den
Strich gebürstet.
Eliza, das Blumenmädchen, hat in der
Gestaltung von Madeleine Lienhard zu Beginn noch einen gewissen Charme
von Gosse. Je mehr sie sich zur Dame von Welt erpresst und erpressen
lässt, wird sie hässlicher - auch in ihrem körperlichen Verhalten. Ein
steifer Oberkörper, herabhängende Arme, staksender Gang und ein auf den
Hals gepresster Kopf machen aus dieser Dame einen dressierten Hund.
So
wird die Eliza nicht schöner, sondern verbogener. Ihr Anbeter Freddy
verkrümmt sich zu einem vor dem Hause des Professors schlafenden Tramp.
Und die eigentlich vom spritzigen Humor lebende Story wird zu einer von
Zwängen befrachteten Handlung, die sich mühsam und zäh dahin zieht.
Folgerichtig
kriegen sich der Herr Professor und das Blumenmädchen in der Wagner
Interpretation nicht. Man hielt sich damit an die Vorlage, an George
Bernard Shaws „Pygmalion“-Schauspiel per mit dem riesigen Ödipus-Komplex
beladene Higgins ist im starren System der Unveränderlichkeit gefangen.
Eliza
aber hat sich verändert , als einzige im Stück, von der Natürlichkeit
des Slums zur frustrierten Lady, geht mit dem Kapital, das ihr der
Professor gab, in eine neue Zukunft als Sprecherzieherin. Ein typischer
Schluss für Shaw-Komödien: die Narren werden gewechselt.
Aber
von Komödie war in dieser Inszenierung kaum etwas zu spüren; auf jeden
Fall gab es wenig zu lachen. Das war ein Schlag aus der Zauberkiste des
„Nicht-Erwartbaren“, dem Motto das Intendanten und Regisseurs.
Jetzt
fragt sich nur: warum ist „My Fair Lady“, das Musical, in Heilbronn auf
offener Bühne exekutiert worden? Erobert wurde es damit wahrlich; eben
nur um den Preis seiner Zerstörung. Mit dünnen Stimmen wurden die Lieder
vorgetragen - warum also nicht gleich das Schauspiel „Pygmalion“?
Sicherlich
ist es erlaubt, die Starrheit eines Welterfolgs, seine Sinnentleerung
aufzudecken. Dazu wären aber Könner auf der Bühne notwendig gewesen. Als
Ersatz gab es nur einen ungeheuer großen, bühnentechnischen Aufwand.
Klaus
Wagner hat der frohgestimmten Heilbronner Theater-Bürgerschaft sein
Lady-Experiment vorgeführt. Junge Schauspieler zeigten die schmale
Bandbreite ihres Könnens in großen Rollen. Mir schien, als ob den mit
tradierten Erwartungen ins Theater kommenden Zuschauern ihre Lady
zurück in ihren geistigen Schlund gestopft werden sollte.
Kumpans
des mühsamen Spektakels, des Ensembles wurden die Besucher in der
Pause, in der der „Ball in der Botschaft" im Foyer stattfand - vor einem
riesigen Adolf-Menzel-Bild, aus dem der König von Transsylvanien
fettleibig hervortrat, um Eliza zum Tanz zu entführen. So hat Heilbronn
seinen Tanz auf dem Theater-Vulkan begonnen.
Die
nächsten Stücke: „Faust I“, „Mephisto“ von Mnouchkine und „Sturm im
Wasserglas“. Zu hoffen ist, dass die Frechheit der Theaters seine
Fortsetzung findet. Vielleicht mit ein wenig mehr schauspielerischer
Qualität.
M u s i k / Ende der Reportage
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