Mittwoch, 19. Februar 2014

Stadttheater Heilbronn - Eröffnung des neuen Theaters 1982 - Teil 4

Eröffnung des Heilbronner Theaters, 1982

Eine Hörfunk-Reportage (Teil 4)

Von Jürgen Dieter Ueckert

Besprechung der Auftakt-Inszenierung "My Fair Lady"

Süddeutscher Rundfunk
Zweites Programm-Hörfunk
Kulturreport regional – Württemberg
Freitag, den 19. November 1982, 19.30 Uhr


"My Fair Lady" zur festlichen Eröffnung des neuen Stadttheaters in Heilbronn. Als der Intendant mit die­sem Plan einst an die Öffentlichkeit getreten war, wurde von einigen Seiten der Bürgerschaft Heilbronns an der „würdelosen" Absicht Anstoß genommen.

Aber das Wunschstück des Heilbronner Oberbürgermeisters, das Musical von dem Blumenmädchen aus der Gosse, das dank der ruppigen Sprecherziehung eines Phonetik-Professors zur einer Lady herausgeputzt wird, ging dann doch matt beklatscht am Dienstag dieser Woche über die große Bühne des neuen Hauses.

Von einer Wiederkehr des Hoftheaters hatten böse Zungen in der Stadt gesprochen. Aber das hat Tradition. War doch der erste Theaterbau 1913 auch mit einem Stück eröffnet wor­den, das sich damals ein Fabrikant, ein nicht un­bedeutender Bürger der Stadt gewünscht und gleich selbst verfasst hatte.

Soweit war der im nächsten Jahr aus seinem Amt scheidende Oberbürgermeister Hans Hoffmann nicht gegangen. Für die Liebhaber der klassischen Theaterliteratur gibt es am morgigen Samstag in der zweiten Premiere einen Goethe-Faust-I in der Inter­pretation des Intendanten Klaus Wagner, der - wie schon gesagt - auch die Lady-Inszenierung besorgt hatte.

Die besondere Bemühung seines Theaters, so der Inten­dant in einem Artikel in seiner hauseigenen Theater-Zeitung mit der Überschrift 'Zukunft und Sinn für ein neues Theater", gelte der Eroberung des Musicals. „Anatevka“, „Irma la douce“, „Candide“ und jetzt „My Fair Lady“ - das sind beredte Zeugen in der zweijährigen Amtsperiode von Klaus Wagner für diesen Eroberungs­willen.

Wobei eine Eroberung im militärischen Sinn des Wortes wohl eher gemeint war - als in der betuli­chen, liebevoll tradierten Aufbereitung des Stückes. Wer „My Fair Lady“ hört, denkt vornehmlich an die Hollywood-Film-Fassung, denkt vielleicht an schmissige Melodien, eine muntere Choreografie kurz: an ein heiter bis­siges Spiel, das schließlich zu einem guten Ende kommt.

Nichts davon in der Wagner-Interpretation. Schlicht gesagt: vom Musical blieb ein wenig Gesang; und die Geschichte wurde aus der lässigen, großzügi­gen Musical-Show in die enge Puppenstube des 19. Jahrhundert zurückgepeitscht.

Kein Berliner Dialekt war in dieser deutschen Version zu hören, auch kein schwäbischer - wie Mutige vielleicht folgern würden - nein, man sprach ein Kauderwelsch aus dem dichten Wald deutscher Dialekte, vermischt mit dem Anklang von Ausländerdeutsch aller Schattierungen.

Selten war daher der Text der Sprecher oder Sänger – trugen sie ihn als Volk vor – zu verstehen. Vornehmlich wurde in dieser Auftaktinszenierung des neuen Heilbronner Theaters die Technik des Hauses vorgeführt: im ersten Bild eine Holzfassade des alten Heilbronner Theaters als Covent-Garden-Opera­-House gezeigt und vom Publikum dankbar beklatscht - ebenso wie der echte Theater-Regen, der auf die Bühne pras­selte.

Das Geschehen im Hause das Professor Higgins spielte sich dann in einem viktorianischen Gebäude ab, das die gesamte Bühne einnahm. Auf vier Stockwerken zeigte man ein Geschehen, das von der aufwen­digen Spielerei mit der Technik teilweise an den Rand gedrängt wurde.

Da wurden vom Hause des Pro­fessors, wie in einer Puppenstube, die Außenwände hochgezogen, damit der Zuschauer einsichtig ins Ge­schehen wurde; da gab es ein putziges Hafenbild mit
Butzenscheibenromantik, in dem Vater Doolittle und sei­ne Freunde herumturnten; und Mutter Higgins wohnte in einem Landhaus, das auf einem Kreidefelsen stand.

Eine sehr naive Auffassung von Theaterkulissen - verzerrt realistisch geboten - feierte seine Wiederauferstehung in der Dekoration von Günter Kup­fer. In die viktorianische Scheinidylle setze Wagner sein Zappel-Musical mit Marionetten-Figuren. Alles, was landläufig so bürgerlich-schön am Lady-Musical goutiert wird, wurde hier gegen den Strich gebürstet.

Eliza, das Blumenmädchen, hat in der Gestaltung von Madeleine Lienhard zu Beginn noch einen gewissen Charme von Gosse. Je mehr sie sich zur Dame von Welt erpresst und erpressen lässt, wird sie hässlicher - auch in ihrem körperlichen Verhalten. Ein steifer Oberkörper, herabhängende Arme, staksender Gang und ein auf den Hals gepresster Kopf machen aus dieser Dame einen dressierten Hund.

So wird die Eliza nicht schöner, sondern verbogener. Ihr Anbeter Freddy verkrümmt sich zu einem vor dem Hause des Professors schlafenden Tramp. Und die eigentlich vom spritzigen Humor lebende Story wird zu einer von Zwängen befrachteten Handlung, die sich mühsam und zäh dahin zieht.

Folgerichtig kriegen sich der Herr Professor und das Blumenmädchen in der Wagner Interpretation nicht. Man hielt sich damit an die Vorlage, an George Bernard Shaws „Pygmalion“-Schauspiel per mit dem riesigen Ödipus-Komplex beladene Higgins ist im starren System der Unveränderlichkeit gefangen.

Eliza aber hat sich verändert , als einzige im Stück, von der Natürlichkeit des Slums zur frustrierten Lady, geht mit dem Kapital, das ihr der Professor gab, in eine neue Zukunft als Sprecherzieherin. Ein typischer Schluss für Shaw-Komödien: die Narren werden gewechselt.

Aber von Komödie war in dieser Inszenierung kaum etwas zu spüren; auf jeden Fall gab es wenig zu lachen. Das war ein Schlag aus der Zauberkiste des „Nicht-Erwartbaren“, dem Motto das Intendanten und Regisseurs.

Jetzt fragt sich nur: warum ist „My Fair Lady“, das Musical, in Heilbronn auf offener Bühne exekutiert worden? Erobert wurde es damit wahrlich; eben nur um den Preis seiner Zerstörung. Mit dünnen Stimmen wurden die Lieder vor­getragen - warum also nicht gleich das Schauspiel „Pygmalion“?

Sicherlich ist es erlaubt, die Starrheit eines Welterfolgs, seine Sinnentleerung aufzudecken. Dazu wären aber Könner auf der Bühne notwendig gewesen. Als Ersatz gab es nur einen ungeheuer großen, bühnentechnischen Aufwand.

Klaus Wagner hat der frohgestimmten Heilbronner Theater-Bürgerschaft sein Lady-Experiment vorgeführt. Junge Schauspieler zeigten die schmale Bandbreite ihres Könnens in großen Rollen. Mir schien, als ob den mit tradierten Erwartungen ins Theater kommen­den Zuschauern ihre Lady zurück in ihren geistigen Schlund gestopft werden sollte.

Kumpans des mühsamen Spektakels, des Ensembles wur­den die Besucher in der Pause, in der der „Ball in der Botschaft" im Foyer stattfand - vor einem rie­sigen Adolf-Menzel-Bild, aus dem der König von Transsylvanien fettleibig hervortrat, um Eliza zum Tanz zu entführen. So hat Heilbronn seinen Tanz auf dem Theater-Vulkan begonnen.

Die nächsten Stücke: „Faust I“, „Mephisto“ von Mnouchkine und „Sturm im Wasser­glas“. Zu hoffen ist, dass die Frechheit der Theaters seine Fortsetzung findet. Vielleicht mit ein wenig mehr schauspielerischer Qualität.

M u s i k / Ende der Reportage

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