Mittwoch, 19. Februar 2014

Stadttheater Heilbronn - Bau eines neuen Theaters - Kommentar (1980)

Kommentar im "Theaterblatt" des Heilbronner Theaters

Spaß ohne Werktreue

Von Jürgen Dieter Ueckert

Wenn man an Sitzungen des Gemeinderats im Heilbronner Rathaus teilnimmt - vor allem als Zuschauer, dann sieht man durchaus gutes Theater in Heilbronn. Die Ansicht eines Spötters. Richtig an dieser Bemerkung ist: Auf dem Rathaus hatte man sich nahezu drei Jahrzehnte über den Bau des Theaters gestritten. Die Bilanz: drei Dekaden Theater-Provisorium im Gewerkschaftshaus und jetzt der Theater-Neubau, der auf dem Berliner Platz aus dem Boden schießt.

„Das Theater muß nämlich durchaus etwas Überflüssiges bleiben dürfen, was freilich dann bedeutet, daß man für den Überfluß lebt." - Bertolt Brechts Aussage gilt nicht für Heil­bronn. Gründe für die akulturelle Grundsituation Heilbronns werden gern angeführt, gipfeln im Vorwurf „Du Stadt der Krämerseelen", und geraten trotzdem immer wieder in Vergessenheit. Feststeht: Das Kommerzielle hat in Heilbronn immer Vorrang vor dem Kulturellen gehabt. Und das wird sich kaum ändern.

Theater in Heilbronn besaß bisher nicht die Bedeutung, die es in Ulm, Tübingen oder Heidelberg hatte. Es gab in Kleists Käthchenstadt keine be­deutenden Uraufführungen, keine Schauspieler und Regisseure, die das deutsche und internationale Theater von dieser Stätte aus zu verändern begannen. Die Voraussetzungen dafür werden auf dem Berliner Platz geschaffen. Jetzt wird's auf den Inhalt ankommen.

Wird es 1982 beim Umzug ins neue Haus das endgültige „Aus" für die Heilbronner Kultur-Nachkriegszeit geben? Bisher spielte man im Heil­bronner Theater unter dem Oberbe­griff „Werktreue". Ein Begriff, der in der theoretischen wie praktischen Welt des Theaters nicht existiert. Schaut man auch in einigen Lexika fürs Theater nach, man sucht ihn ver­gebens.

Verpflichtet fühle man sich beim Werktreue-Theater dem Dichter, sonst niemandem. So lauteten die Worte der Heilbronner Erklärung für den Begriff. Man wolle das Stück vom Blatt spielen, unverfälscht. Dramatische Literatur soll bei der Probenarbeit zum Theaterspiel umgeformt werden. Und dabei arbeitet man oft länger als der Dichter an der Herstellung der Textvorlage. Theater setzt Texte um, die vorher Gerippe waren.

Theater wie zu Zeiten der alten Griechen, Shakespeares oder Moliéres - das klappt nicht und wäre auch dumm. Das Wörtchen Werktreue, in sich romantisch und deutschtümelnd, bezeichnet die Abwehr. Gegen den übermächtigen Einfluß der Politik im Theater, ein literarischer Strohhalm für Gustaf Gründgens. Der Theater­mann, der die Begrifflichkeit der Nazis verwandte, um im Schutze ihres Wortes seine Auffassung von Theater her­stellen zu können. Hintergrund: Gesamtkunstwerk, Originalgenie, Kunst als anbetungswürdiger Ersatz. Eine „L’art pour l’art“-Haltung, die Theaterhersteller zu Sklaven macht.

Werktreue heißt eingestehen, das eigene Wollen nicht verwirklichen zu können. Das Leben – nichts als Treue. Theater als Kunsthandwerk. Regisseure als Nachmaler eines einmal hergestellten, unveränderbaren Gemäldes. Besser scheint mir: Literatur nach- und neuzudenken, umzuformulieren für die Bühne. Nicht den Text abzuschnurren lassen, sondern die Alltäglichkeit der großen Themen wieder auffinden.

Mündige Theaterleute müssen für die „Überflüssigkeit“ Theater leben – sie erleben können. Gefällige Schwätzer schöngeistiger Worte für die Satten und Mächtigen– das sollte gewesen sein. Die Bühne: Ein Spiel von mündigen für mündige Menschen. Dann macht Theater auch Spaß.

Theaterblatt, Stadttheater Heilbronn, Januar 1980

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