Kommentar im "Theaterblatt" des Heilbronner Theaters
Spaß ohne Werktreue
Von Jürgen Dieter Ueckert
Wenn man an Sitzungen des Gemeinderats im Heilbronner
Rathaus teilnimmt - vor allem als Zuschauer, dann sieht man durchaus
gutes Theater in Heilbronn. Die Ansicht eines Spötters. Richtig an
dieser Bemerkung ist: Auf dem Rathaus hatte man sich nahezu drei
Jahrzehnte über den Bau des Theaters gestritten. Die Bilanz: drei
Dekaden Theater-Provisorium im Gewerkschaftshaus und jetzt der Theater-Neubau, der auf dem Berliner Platz aus dem Boden schießt.
„Das Theater muß nämlich durchaus etwas Überflüssiges bleiben dürfen, was freilich dann bedeutet, daß man für den Überfluß lebt." - Bertolt Brechts Aussage gilt nicht für Heilbronn. Gründe für die akulturelle Grundsituation Heilbronns
werden gern angeführt, gipfeln im Vorwurf „Du Stadt der Krämerseelen",
und geraten trotzdem immer wieder in Vergessenheit. Feststeht: Das
Kommerzielle hat in Heilbronn immer Vorrang vor dem Kulturellen gehabt.
Und das wird sich kaum ändern.
Theater in Heilbronn besaß bisher nicht die Bedeutung, die es in Ulm, Tübingen oder Heidelberg hatte. Es gab in Kleists Käthchenstadt keine bedeutenden
Uraufführungen, keine Schauspieler und Regisseure, die das deutsche und
internationale Theater von dieser Stätte aus zu verändern begannen. Die
Voraussetzungen dafür werden auf dem Berliner Platz geschaffen. Jetzt
wird's auf den Inhalt ankommen.
Wird es 1982 beim Umzug ins neue Haus das endgültige „Aus" für die Heilbronner Kultur-Nachkriegszeit geben? Bisher spielte man im Heilbronner Theater unter dem Oberbegriff
„Werktreue". Ein Begriff, der in der theoretischen wie praktischen Welt
des Theaters nicht existiert. Schaut man auch in einigen Lexika fürs
Theater nach, man sucht ihn vergebens.
Verpflichtet fühle man sich beim Werktreue-Theater dem Dichter, sonst niemandem. So lauteten die Worte der Heilbronner
Erklärung für den Begriff. Man wolle das Stück vom Blatt spielen,
unverfälscht. Dramatische Literatur soll bei der Probenarbeit zum
Theaterspiel umgeformt werden. Und dabei arbeitet man oft länger als der
Dichter an der Herstellung der Textvorlage. Theater setzt Texte um, die
vorher Gerippe waren.
Theater wie zu Zeiten der alten Griechen, Shakespeares oder Moliéres - das klappt nicht und wäre auch dumm. Das Wörtchen Werktreue, in sich romantisch und deutschtümelnd, bezeichnet die Abwehr. Gegen den übermächtigen Einfluß der Politik im Theater, ein literarischer Strohhalm für Gustaf Gründgens. Der Theatermann, der die Begrifflichkeit
der Nazis verwandte, um im Schutze ihres Wortes seine Auffassung von
Theater herstellen zu können. Hintergrund: Gesamtkunstwerk,
Originalgenie, Kunst als anbetungswürdiger Ersatz. Eine „L’art pour l’art“-Haltung, die Theaterhersteller zu Sklaven macht.
Werktreue
heißt eingestehen, das eigene Wollen nicht verwirklichen zu können. Das
Leben – nichts als Treue. Theater als Kunsthandwerk. Regisseure als
Nachmaler eines einmal hergestellten, unveränderbaren Gemäldes. Besser scheint mir: Literatur nach- und neuzudenken, umzuformulieren für die Bühne. Nicht den Text abzuschnurren lassen, sondern die Alltäglichkeit der großen Themen wieder auffinden.
Mündige
Theaterleute müssen für die „Überflüssigkeit“ Theater leben – sie
erleben können. Gefällige Schwätzer schöngeistiger Worte für die Satten
und Mächtigen– das sollte gewesen sein. Die Bühne: Ein Spiel von
mündigen für mündige Menschen. Dann macht Theater auch Spaß.
Theaterblatt, Stadttheater Heilbronn, Januar 1980
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