Donnerstag, 20. März 2014

Stadttheater Heilbronn - Zorniger Brief an einen Schauspieler (2005)

Ein trauriger und zorniger Brief
an einen Schauspieler
am Stadttheater Heilbronn

Von Jürgen Dieter Ueckert

Sehr geehrter Herr X.,

ich vernahm aus dem Theater Heilbronn, dass Sie einen Widerspruch zwischen Aussagen von mir am Premierenabend vom "Tod eines Handlungsreisen" und meinem Artikel im echo am Mittwoch feststellten - und darüber sehr erstaunt seien.Ich glaube, da sind Ihnen ein paar Informationen durcheinander geraten.

Uwe Jacobi, einst Vorsitzender des Theatervereins und stellvertretender Chefredakteur der Heilbronner Stimme, sprach an jenem Premierenabend des „Handlungsreisenden“ lauthals - und soviel ich weiß auch Ihnen gegenüber - davon, dass die Premiere des „Handlungsreisenden“ von Arthur Miller am Heilbronner Stadttheater "Weltniveau" habe.

Eine solche Aussage können Sie von mir nicht gehört haben und werden Sie von mir auch niemals hören.

Ich sagte beim Verlassen des Theaters lediglich, als wir uns vor dem Theaterbrunnen begegneten, dass Sie aus meiner Sicht eine herausragende Leistung mit Ihrer Rolle in der Premiere abgeliefert hätten und ich Sie dazu beglückwünsche. Außerdem fragte ich Sie, wie Sie die Reaktion des Publikums einschätzen. Und Sie gaben mir darauf Ihre Antwort.Im Übrigen hatte ich kurz zuvor mit dem Intendanten Ihres Theaters, Dr. Martin Roeder-Zerndt, und seinem Stellvertreter, Frank Düwel, in der Kantine des Theaters gesprochen. Dabei erzählte ich Ihnen von den müden Zuschauern in der ersten Halbzeit des Theaterabends vor der Pause (einige Besucher waren eingeschlafen, andere nur eingenickt, wiederum andere hüstelten fortwährend – ein Zeichen von mangelnder Aufmerksamkeit – und Langeweile).

Ich besuche aus beruflichen Gründen Theater seit 1974. Bis in die neunziger Jahre hinein schrieb ich regelmäßig über diverse Häuser in Baden-Württemberg sowohl für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als auch für Tageszeitungen. Sie können mir glauben, dass ich ungefähr einzuschätzen vermag, wann eine Inszenierung langweilt und wann sie die Zuschauer fesselt.

Nach der Pause der "Handlungsreisenden"-Premiere in Heilbronn änderte sich übrigens das Verhalten vieler Zuschauer. Einige der Besucher hatten ja das Theater schon verlassen - wie üblich in Heilbronn. Der teilweise frenetische Beifall zum Schluss ist in Heilbronn auch auf die vielen Bekannten und Freunde von Schauspielern sowie das zahlreich anwesende Theaterpersonal in der Premierenvorstellung zurückzuführen. Sie werden den Unterschied beim Beifall zu anderen Vorstellungen ja selbst bemerkt haben - auch was die jeweilige Auslastung des Hauses anbelangt.

Ich habe mit vielen Zuschauern gesprochen, die in Vorstellungen nach der Premiere waren, und nichts von einem frenetischen Applaus bemerkt hatten und auch nicht von Bravo-Rufen oder Ähnlichem berichten konnten.

Nach der Premiere sprach ich auch mit dem Verleger unseres Medienhauses, Tilmann Distelbarth, der mir ansah, das ich Bedenken gegen die „Handlungsreisende“-Inszenierung hätte. Ich sagte ihm - wie später Ihrem Intendanten, dass ich das Abwürgen der Emotionen in der Nathusius-Inszenierung als Amputation des Stückes empfunden hätte. Ebenso wie das Allerweltsbühnenbild, das mich mehr an den Übungsentwurf eines Studenten einer Akademie erinnerte als an das durchdachte und angemessene Bühnenbild einer wohlüberlegten Theaterinszenierung.

Glauben Sie wirklich ernsthaft, verehrter Herr X., dass ich meine Argumentationsschiene – wie eben geschildert - Ihnen gegenüber verlassen hätte? Warum hätte ich so etwas tun sollen? Um Ihnen zu schmeicheln? Ich bin nicht gerade als Schmeichler und Speichellecker verschrien. Ich hatte vielmehr einem Ihrer Kollegen in der Kantine nach der Premiere schon gesagt, dass ich die schauspielerische Leistung in dieser Inszenierung achte und bewundere - aber dass ich feststellen musste, dass die Nathusius-Inszenierung das Miller-Stück nur geringfügig beschädigen konnte - wie schon Schillers "Räuber" im Frühjahr. Wobei ich die Räuber-Inszenierung noch für durchaus diskutabel halte.

Im übrigen sind für mich die wichtigsten Garanten von Theater-Erfolgen zunächst immer die Schauspieler – ja man kann ohne Bühnenbild und Kostüme Theater erfolgreich spielen, wenn gute, selbstbewusste Schauspieler vorhanden sind – einer Inszenierung im heutigen, selbstgefälligen Regie-Sinne bedarf es da kaum, das hat die Geschichte hinreichend bewiesen. Wir benötigen viel mehr Schauspieler-Regisseure als Menschen, die sich mit ihren Regie-Eskapaden selbst inszenieren – und weniger den das Stück eines Autors oder die Schauspieler. Auch diese Diskussion dürfte Ihnen geläufig sein.

Davon ausgehend: der Team-Geist in einem Hause ist auf der Bühne erkennbar, in der Arbeit an den kleinsten und den größten Rollen eine Theaterstücks - im Umgang der Schauspieler auf der Bühne miteinander, im Aufeinander-Hören, sich gegenseitig tragen, ernstnehmen und Miteinander-Spielen. Das ist ähnlich wie bei Zeitungsredaktionen.

Marcel Reich-Ranicki sagte einst als FAZ-Literatur-Chef, dass eine von ihm geschriebene Buchkritik zunächst der Volontär, der „Geringste“ in der Redaktion, verstehen müsse. Versteht dieser die Argumentation in der Kritik nicht, muss sie von ihm - vom Autor MRR - so verändert werden, dass der Volontär den Artikel versteht. Ähnlich verhält es sich auch mit gutem Schauspiel.

Darüber hinaus – so ist mir zu Ohren gekommen - wabern durch Ihr Haus. Zum Beispiel ist von "Strafaktionen" gegen das Theater meinerseits die Rede. Von "Strafaktionen" halte ich überhaupt nichts - das kann Ihnen meine gesamte Redaktion bestätigen. So etwas ist einfach nicht mein Stil. Mein Stil ist es vielmehr, die Menschen in Ihren Meinungen und Aussagen sehr ernst zu nehmen. Vielleicht zu ernst. Denn ich gestehe jedem erwachsenen Menschen eine eigenverantwortliche Persönlichkeit zu.

Sie, Herr X., und alle Ihre Kollegen sollten sich wirklich einmal überlegen, wie die Selbstverpflichtung ihres Intendanten Dr. Martin Roeder-Zerndt dem Gemeinderat und damit auch der Öffentlichkeit gegenüber positiv erzielt werden kann, 80 Prozent Platzausnutzung des Stadttheaters bis zum Jahre 2008 zu erreichen. Die Platzausnutzungszahlen purzeln ja derzeit von Spielzeit zu Spielzeit in Heilbronn in den Keller. Momentan liegen sie bei rund 64 Prozent – und sinken von Quartal zu Quartal.Sie – und mit Ihnen Ihre Kollegen im Theater - haben bei diesen Zahlen allen Grund sich zu überlegen, wie das Ruder herumgerissen werden muss, damit erfolgreich am Theater für die Zuschauer gearbeitet werden kann.

Glauben Sie mir bitte, wir überlegen uns in unserer Redaktion auch Woche für Woche, wie wir unseren Erfolg mit den beiden „echos“ sichern und ausbauen können. Jede Woche wird neu darüber heftigst nachgedacht. Die kritischen Anregungen unserer Leser nehmen wir dabei sehr ernst - und wir bekommen auch sofort zu spüren, was beim Leser ankommt und was unserem Blatte schadet. Wenn wir ein Blatt zu unserem Gefallen und nur nach unserem Geschmack machen würden, wären wir schon längst pleite - und würden arbeitslos auf der Straße sitzen.

Was darüber hinaus mir, meinem Verleger, dem Intendanten oder irgendwelchen Schauspielern (die sich teilweise am Trash-Theater der Metropolen orientieren) an Inszenierungen im Heilbronner Stadttheater gefällt, muss einem breiten Publikum, das die Reihen in den Vorstellungen nach der Premiere füllen muss, noch lange nicht gefallen. Sie werden mir gewiss zustimmen: Eine Binsenweisheit.

Was mir und meinen Redakteuren an einer Sonntagszeitung gefällt, muss unseren Lesern in ihrer Mehrheit noch lange nicht gefallen. Daraus ist abzuleiten: Theaterleute in Deutschland sitzen schon lange nicht mehr in jenem berüchtigten hochsubventionierten und elfenbeinernen Turm. Auch das Theater Heilbronn muss schließlich auch irgendwann einmal in der Realität der Bundesrepublik Deutschland des Jahres 2005 ankommen.

Das Staatstheater in Stuttgart (aber auch in Karlsruhe) bietet Auslastungszahlen, die weitaus besser ausschauen als jene in Heilbronn. Auch Stuttgart litt einst unter Schauspieldirektoren, die Auslastungsquoten gen 50 Prozent sinken ließen. In der letzten Spielzeit lag diese Quote im Stuttgarter Staatstheater-Schauspiel unter dem Theaterdirektor Schirmer immerhin über 90 Prozent.

Ich will die Verhältnisse in Ulm, Pforzheim und Meiningen und ihre Folgen für die dortigen Theaterintendanten und Ensembles hier nicht ausbreiten. Das ist in vielen Tageszeitungen schon zur Genüge geschehen – wie Sie bestimmt wissen.Wir feierten vor wenigen Tagen Dieter Dorns 70. Geburtstag. Er hatte wunderbare Inszenierungen für die Ludwigsburger Schlossfestspiele geliefert - ist also in unserem Landstrich und Ländle kein Unbekannter. Ich kann mit seinem Theater etwas anfangen.

Als Dorn 1999 wegen der politischen und kulturellen Flatterhaftigkeit eines SPD-Kulturdezernenten in München - namens Professor Julian Nida-Ruemelin - von den Münchner Kammerspielen vertrieben wurde und nahezu Dorns wunderbares Ensemble ins Bayrische Staatsschauspiel - Residenztheater - mit ihm wechselte, da wurden auch die Zuschauer aus den Kammerspielen vertrieben.

90 Prozent Platzausnutzung und Verdreifachung der Abonnenten für Dorn im neuen Domizil waren die Folge. Das Baumhauer-Theater in den Kammerspielen - wir wissen, was geschah ...

Mein Fazit lautet somit: Man kann die Platzausnutzung auch in Heilbronn auf 80 oder gar 90 Prozent hochschrauben - man muss nur den "richtigen Spielplan" und die "richtigen Inszenierungen" bieten. Und das alles muss nicht der Kritik in den Tageszeitungen, Wochenzeitungen oder den Meinungsbildnern dieser Stadt, sondern einem breiten Publikum gefallen.

Es ist langweilig, immer wieder die Volksweisheit zitieren zu müssen: Der Wurm muss dem Fisch, nicht dem Angler schmecken. Ich habe meine Anregungen mehr als zur Genüge in Artikeln dazu gegeben. Aber die Einsichten müssen aus dem Stadttheater selbst kommen - und auch ihre Umsetzung. Eine Zeitung kann nur atmosphärisch begleiten. Wir können vielleicht Schauspieler den Menschen, die nicht ins Theater gehen, näher bringen. Auch jenen, die hingehen. Aber mit der Zeitung ist kein Theater zu füllen.

Gute Inszenierungen waren trotz schlechter Kritiken nahezu immer erfolgreich. Gute Kritiken für schlechte Inszenierungen haben selten ein Haus gefüllt.Eine Zeitung wie das „echo am Sonntag“ und „echo am Mittwoch“ hat keinen Einfluss darauf, ob ein Theater voller Zuschauer ist oder nicht. Das haben allein Sie als Hersteller von Theater in der Hand.

Eine Firma, die Produkte herstellt, die nicht vom Publikum angenommen werden, wird über kurz oder lang pleite gehen. Außer sie wird hochsubventioniert.Mozart hat gute Opern geschrieben, nicht weil er hochsubventioniert wurde, sondern weil er Geld verdienen, sich und seine Familie existentiell absichern musste. Gute Kunst entsteht zumeist nicht automatisch im Lande "Subventionien". Im Gegenteil – sie entsteht dort, wo keine Subventionen fließen. Auch das sollte langsam und hinlänglich bekannt sein.

Das allerneueste Argument aus Ihrem Hause, dass Heilbronns Stadttheater zu groß sei, das ist nicht nur dumm - es darf auch nicht gelten. Denn es liefert der Denkfaulheit Vorschub. Dieses Argument ist durchsichtig eine Hilfskonstruktion für eine hilflose Argumentation der derzeitigen Theatermacher.

Ich unterstütze das Heilbronner Theater in seiner Außerwirkung gern - und tue das jetzt mehr als ein halbes Jahr. Ich will, dass Theater in Heilbronn ein Bestandteil bürgerlichen und kulturellen Lebens ist und bleibt. Diese Unterstützung muss im "echo" populär dargereicht sein.Wir – die beiden „echos“ - sind ein Boulevard-Medium - und wir haben auch gewisse Ängste, wenn wir ein Unternehmen oder eine Institution frag- und kritiklos unterstützen würden, das an seinen Konsumenten vorbei produziert - ständig erfolglos arbeitet.

Es ist auch nicht unsere Aufgabe, unkritisch Applaus zu spenden. Außerdem hätte eine Theaterpolitik, die am Zuschauer vorbei produziert, auch wenig mit dem Bildungsauftrag eines Stadttheaters zu tun.

Ich wünsche mir, dass die Vorstellungen des Stadttheaters Heilbronn von vielen Menschen besucht werden. Die Menschen bleiben aber nicht wegen der „echos“ und seiner Berichterstattung weg. Sie finden viele Inszenierungen am Stadttheater Heilbronn einfach langweilig und nichtssagend. Da nutzt auch gute Propaganda nichts mehr. Wir wissen doch: Werbung ist sinnlos und hinausgeworfenes Geld, wenn den Leuten das Produkt missfällt.

Was mir persönlich an Inszenierungen im Theater Heilbronn gefällt, ist - wie gesagt - noch lange nicht mehrheitsfähig. Und schauspielerische Leistungen, die mir gefallen, müssen nicht automatisch anderen Menschen zusagen. Das im Kopf behalten und trotzdem mutig Theater machen, das wünsche ich Ihnen und Ihren Kollegen.

Ich bleibe bei dem eingeschlagenen Weg. Ich hatte schon einmal Ihrem Intendanten und Ihrer Pressesprecherin gesagt, dass ich nicht gedenke, meinen Verstand nicht an der Abendkasse oder an der Garderobe im Theater abzugeben. Das gilt auch für meine Kollegen – und auch künftig.Mich erschrecken die neuen Auslastungszahlen des Theaters Heilbronn sehr. Und ich sehe keine Ansatzpunkte zu einer Trendwende. Mich erschrecken auch die Horrormeldungen über die Besucherzahlen in diesen Tagen.

Sie und Ihre Kollegen sollte das alles auch erschrecken - und zu einem Handeln treiben, das eine Trendwende herbeiführt, damit das Theater Heilbronn wieder erfolgreich für seine Zuschauer arbeitet.

Alles Gute für Ihre und des Theaters Zukunft.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Dieter Ueckert

Chefredakteur
Echo am Sonntag / Echo am Mittwoch
21. November 2005

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