Ein trauriger und zorniger Brief
an einen Schauspieler
am Stadttheater Heilbronn
Von Jürgen Dieter Ueckert
Sehr geehrter Herr X.,
ich
vernahm aus dem Theater Heilbronn, dass Sie einen Widerspruch zwischen
Aussagen von mir am Premierenabend vom "Tod eines Handlungsreisen" und
meinem Artikel im echo am Mittwoch feststellten - und darüber sehr
erstaunt seien.Ich glaube, da sind Ihnen ein paar Informationen
durcheinander geraten.
Uwe Jacobi, einst Vorsitzender
des Theatervereins und stellvertretender Chefredakteur der Heilbronner
Stimme, sprach an jenem Premierenabend des „Handlungsreisenden“ lauthals
- und soviel ich weiß auch Ihnen gegenüber - davon, dass die Premiere
des „Handlungsreisenden“ von Arthur Miller am Heilbronner Stadttheater
"Weltniveau" habe.
Eine solche Aussage können Sie von mir nicht gehört haben und werden Sie von mir auch niemals hören.
Ich
sagte beim Verlassen des Theaters lediglich, als wir uns vor dem
Theaterbrunnen begegneten, dass Sie aus meiner Sicht eine herausragende
Leistung mit Ihrer Rolle in der Premiere abgeliefert hätten und ich Sie
dazu beglückwünsche. Außerdem fragte ich Sie, wie Sie die Reaktion des
Publikums einschätzen. Und Sie gaben mir darauf Ihre Antwort.Im Übrigen
hatte ich kurz zuvor mit dem Intendanten Ihres Theaters, Dr. Martin
Roeder-Zerndt, und seinem Stellvertreter, Frank Düwel, in der Kantine
des Theaters gesprochen. Dabei erzählte ich Ihnen von den müden
Zuschauern in der ersten Halbzeit des Theaterabends vor der Pause
(einige Besucher waren eingeschlafen, andere nur eingenickt, wiederum
andere hüstelten fortwährend – ein Zeichen von mangelnder Aufmerksamkeit
– und Langeweile).
Ich besuche aus beruflichen Gründen
Theater seit 1974. Bis in die neunziger Jahre hinein schrieb ich
regelmäßig über diverse Häuser in Baden-Württemberg sowohl für den
öffentlich-rechtlichen Rundfunk als auch für Tageszeitungen. Sie können
mir glauben, dass ich ungefähr einzuschätzen vermag, wann eine
Inszenierung langweilt und wann sie die Zuschauer fesselt.
Nach
der Pause der "Handlungsreisenden"-Premiere in Heilbronn änderte sich
übrigens das Verhalten vieler Zuschauer. Einige der Besucher hatten ja
das Theater schon verlassen - wie üblich in Heilbronn. Der teilweise
frenetische Beifall zum Schluss ist in Heilbronn auch auf die vielen
Bekannten und Freunde von Schauspielern sowie das zahlreich anwesende
Theaterpersonal in der Premierenvorstellung zurückzuführen. Sie werden
den Unterschied beim Beifall zu anderen Vorstellungen ja selbst bemerkt
haben - auch was die jeweilige Auslastung des Hauses anbelangt.
Ich
habe mit vielen Zuschauern gesprochen, die in Vorstellungen nach der
Premiere waren, und nichts von einem frenetischen Applaus bemerkt hatten
und auch nicht von Bravo-Rufen oder Ähnlichem berichten konnten.
Nach
der Premiere sprach ich auch mit dem Verleger unseres Medienhauses,
Tilmann Distelbarth, der mir ansah, das ich Bedenken gegen die
„Handlungsreisende“-Inszenierung hätte. Ich sagte ihm - wie später Ihrem
Intendanten, dass ich das Abwürgen der Emotionen in der
Nathusius-Inszenierung als Amputation des Stückes empfunden hätte.
Ebenso wie das Allerweltsbühnenbild, das mich mehr an den Übungsentwurf
eines Studenten einer Akademie erinnerte als an das durchdachte und
angemessene Bühnenbild einer wohlüberlegten Theaterinszenierung.
Glauben
Sie wirklich ernsthaft, verehrter Herr X., dass ich meine
Argumentationsschiene – wie eben geschildert - Ihnen gegenüber verlassen
hätte? Warum hätte ich so etwas tun sollen? Um Ihnen zu schmeicheln?
Ich bin nicht gerade als Schmeichler und Speichellecker verschrien. Ich
hatte vielmehr einem Ihrer Kollegen in der Kantine nach der Premiere
schon gesagt, dass ich die schauspielerische Leistung in dieser
Inszenierung achte und bewundere - aber dass ich feststellen musste,
dass die Nathusius-Inszenierung das Miller-Stück nur geringfügig
beschädigen konnte - wie schon Schillers "Räuber" im Frühjahr. Wobei ich
die Räuber-Inszenierung noch für durchaus diskutabel halte.
Im
übrigen sind für mich die wichtigsten Garanten von Theater-Erfolgen
zunächst immer die Schauspieler – ja man kann ohne Bühnenbild und
Kostüme Theater erfolgreich spielen, wenn gute, selbstbewusste
Schauspieler vorhanden sind – einer Inszenierung im heutigen,
selbstgefälligen Regie-Sinne bedarf es da kaum, das hat die Geschichte
hinreichend bewiesen. Wir benötigen viel mehr Schauspieler-Regisseure
als Menschen, die sich mit ihren Regie-Eskapaden selbst inszenieren –
und weniger den das Stück eines Autors oder die Schauspieler. Auch diese
Diskussion dürfte Ihnen geläufig sein.
Davon
ausgehend: der Team-Geist in einem Hause ist auf der Bühne erkennbar, in
der Arbeit an den kleinsten und den größten Rollen eine Theaterstücks -
im Umgang der Schauspieler auf der Bühne miteinander, im
Aufeinander-Hören, sich gegenseitig tragen, ernstnehmen und
Miteinander-Spielen. Das ist ähnlich wie bei Zeitungsredaktionen.
Marcel
Reich-Ranicki sagte einst als FAZ-Literatur-Chef, dass eine von ihm
geschriebene Buchkritik zunächst der Volontär, der „Geringste“ in der
Redaktion, verstehen müsse. Versteht dieser die Argumentation in der
Kritik nicht, muss sie von ihm - vom Autor MRR - so verändert werden,
dass der Volontär den Artikel versteht. Ähnlich verhält es sich auch mit
gutem Schauspiel.
Darüber hinaus – so ist mir zu Ohren
gekommen - wabern durch Ihr Haus. Zum Beispiel ist von "Strafaktionen"
gegen das Theater meinerseits die Rede. Von "Strafaktionen" halte ich
überhaupt nichts - das kann Ihnen meine gesamte Redaktion bestätigen. So
etwas ist einfach nicht mein Stil. Mein Stil ist es vielmehr, die
Menschen in Ihren Meinungen und Aussagen sehr ernst zu nehmen.
Vielleicht zu ernst. Denn ich gestehe jedem erwachsenen Menschen eine
eigenverantwortliche Persönlichkeit zu.
Sie, Herr X.,
und alle Ihre Kollegen sollten sich wirklich einmal überlegen, wie die
Selbstverpflichtung ihres Intendanten Dr. Martin Roeder-Zerndt dem
Gemeinderat und damit auch der Öffentlichkeit gegenüber positiv erzielt
werden kann, 80 Prozent Platzausnutzung des Stadttheaters bis zum Jahre
2008 zu erreichen. Die Platzausnutzungszahlen purzeln ja derzeit von
Spielzeit zu Spielzeit in Heilbronn in den Keller. Momentan liegen sie
bei rund 64 Prozent – und sinken von Quartal zu Quartal.Sie – und mit
Ihnen Ihre Kollegen im Theater - haben bei diesen Zahlen allen Grund
sich zu überlegen, wie das Ruder herumgerissen werden muss, damit
erfolgreich am Theater für die Zuschauer gearbeitet werden kann.
Glauben
Sie mir bitte, wir überlegen uns in unserer Redaktion auch Woche für
Woche, wie wir unseren Erfolg mit den beiden „echos“ sichern und
ausbauen können. Jede Woche wird neu darüber heftigst nachgedacht. Die
kritischen Anregungen unserer Leser nehmen wir dabei sehr ernst - und
wir bekommen auch sofort zu spüren, was beim Leser ankommt und was
unserem Blatte schadet. Wenn wir ein Blatt zu unserem Gefallen und nur
nach unserem Geschmack machen würden, wären wir schon längst pleite -
und würden arbeitslos auf der Straße sitzen.
Was
darüber hinaus mir, meinem Verleger, dem Intendanten oder irgendwelchen
Schauspielern (die sich teilweise am Trash-Theater der Metropolen
orientieren) an Inszenierungen im Heilbronner Stadttheater gefällt, muss
einem breiten Publikum, das die Reihen in den Vorstellungen nach der
Premiere füllen muss, noch lange nicht gefallen. Sie werden mir gewiss
zustimmen: Eine Binsenweisheit.
Was mir und meinen
Redakteuren an einer Sonntagszeitung gefällt, muss unseren Lesern in
ihrer Mehrheit noch lange nicht gefallen. Daraus ist abzuleiten:
Theaterleute in Deutschland sitzen schon lange nicht mehr in jenem
berüchtigten hochsubventionierten und elfenbeinernen Turm. Auch das
Theater Heilbronn muss schließlich auch irgendwann einmal in der
Realität der Bundesrepublik Deutschland des Jahres 2005 ankommen.
Das
Staatstheater in Stuttgart (aber auch in Karlsruhe) bietet
Auslastungszahlen, die weitaus besser ausschauen als jene in Heilbronn.
Auch Stuttgart litt einst unter Schauspieldirektoren, die
Auslastungsquoten gen 50 Prozent sinken ließen. In der letzten Spielzeit
lag diese Quote im Stuttgarter Staatstheater-Schauspiel unter dem
Theaterdirektor Schirmer immerhin über 90 Prozent.
Ich
will die Verhältnisse in Ulm, Pforzheim und Meiningen und ihre Folgen
für die dortigen Theaterintendanten und Ensembles hier nicht ausbreiten.
Das ist in vielen Tageszeitungen schon zur Genüge geschehen – wie Sie
bestimmt wissen.Wir feierten vor wenigen Tagen Dieter Dorns 70.
Geburtstag. Er hatte wunderbare Inszenierungen für die Ludwigsburger
Schlossfestspiele geliefert - ist also in unserem Landstrich und Ländle
kein Unbekannter. Ich kann mit seinem Theater etwas anfangen.
Als
Dorn 1999 wegen der politischen und kulturellen Flatterhaftigkeit eines
SPD-Kulturdezernenten in München - namens Professor Julian
Nida-Ruemelin - von den Münchner Kammerspielen vertrieben wurde und
nahezu Dorns wunderbares Ensemble ins Bayrische Staatsschauspiel -
Residenztheater - mit ihm wechselte, da wurden auch die Zuschauer aus
den Kammerspielen vertrieben.
90 Prozent
Platzausnutzung und Verdreifachung der Abonnenten für Dorn im neuen
Domizil waren die Folge. Das Baumhauer-Theater in den Kammerspielen -
wir wissen, was geschah ...
Mein Fazit lautet somit:
Man kann die Platzausnutzung auch in Heilbronn auf 80 oder gar 90
Prozent hochschrauben - man muss nur den "richtigen Spielplan" und die
"richtigen Inszenierungen" bieten. Und das alles muss nicht der Kritik
in den Tageszeitungen, Wochenzeitungen oder den Meinungsbildnern dieser
Stadt, sondern einem breiten Publikum gefallen.
Es ist
langweilig, immer wieder die Volksweisheit zitieren zu müssen: Der Wurm
muss dem Fisch, nicht dem Angler schmecken. Ich habe meine Anregungen
mehr als zur Genüge in Artikeln dazu gegeben. Aber die Einsichten müssen
aus dem Stadttheater selbst kommen - und auch ihre Umsetzung. Eine
Zeitung kann nur atmosphärisch begleiten. Wir können vielleicht
Schauspieler den Menschen, die nicht ins Theater gehen, näher bringen.
Auch jenen, die hingehen. Aber mit der Zeitung ist kein Theater zu
füllen.
Gute Inszenierungen waren trotz schlechter
Kritiken nahezu immer erfolgreich. Gute Kritiken für schlechte
Inszenierungen haben selten ein Haus gefüllt.Eine Zeitung wie das „echo
am Sonntag“ und „echo am Mittwoch“ hat keinen Einfluss darauf, ob ein
Theater voller Zuschauer ist oder nicht. Das haben allein Sie als
Hersteller von Theater in der Hand.
Eine Firma, die
Produkte herstellt, die nicht vom Publikum angenommen werden, wird über
kurz oder lang pleite gehen. Außer sie wird hochsubventioniert.Mozart
hat gute Opern geschrieben, nicht weil er hochsubventioniert wurde,
sondern weil er Geld verdienen, sich und seine Familie existentiell
absichern musste. Gute Kunst entsteht zumeist nicht automatisch im Lande
"Subventionien". Im Gegenteil – sie entsteht dort, wo keine
Subventionen fließen. Auch das sollte langsam und hinlänglich bekannt
sein.
Das allerneueste Argument aus Ihrem Hause, dass
Heilbronns Stadttheater zu groß sei, das ist nicht nur dumm - es darf
auch nicht gelten. Denn es liefert der Denkfaulheit Vorschub. Dieses
Argument ist durchsichtig eine Hilfskonstruktion für eine hilflose
Argumentation der derzeitigen Theatermacher.
Ich
unterstütze das Heilbronner Theater in seiner Außerwirkung gern - und
tue das jetzt mehr als ein halbes Jahr. Ich will, dass Theater in
Heilbronn ein Bestandteil bürgerlichen und kulturellen Lebens ist und
bleibt. Diese Unterstützung muss im "echo" populär dargereicht sein.Wir –
die beiden „echos“ - sind ein Boulevard-Medium - und wir haben auch
gewisse Ängste, wenn wir ein Unternehmen oder eine Institution frag- und
kritiklos unterstützen würden, das an seinen Konsumenten vorbei
produziert - ständig erfolglos arbeitet.
Es ist auch
nicht unsere Aufgabe, unkritisch Applaus zu spenden. Außerdem hätte eine
Theaterpolitik, die am Zuschauer vorbei produziert, auch wenig mit dem
Bildungsauftrag eines Stadttheaters zu tun.
Ich wünsche
mir, dass die Vorstellungen des Stadttheaters Heilbronn von vielen
Menschen besucht werden. Die Menschen bleiben aber nicht wegen der
„echos“ und seiner Berichterstattung weg. Sie finden viele
Inszenierungen am Stadttheater Heilbronn einfach langweilig und
nichtssagend. Da nutzt auch gute Propaganda nichts mehr. Wir wissen
doch: Werbung ist sinnlos und hinausgeworfenes Geld, wenn den Leuten das
Produkt missfällt.
Was mir persönlich an
Inszenierungen im Theater Heilbronn gefällt, ist - wie gesagt - noch
lange nicht mehrheitsfähig. Und schauspielerische Leistungen, die mir
gefallen, müssen nicht automatisch anderen Menschen zusagen. Das im Kopf
behalten und trotzdem mutig Theater machen, das wünsche ich Ihnen und
Ihren Kollegen.
Ich bleibe bei dem eingeschlagenen Weg.
Ich hatte schon einmal Ihrem Intendanten und Ihrer Pressesprecherin
gesagt, dass ich nicht gedenke, meinen Verstand nicht an der Abendkasse
oder an der Garderobe im Theater abzugeben. Das gilt auch für meine
Kollegen – und auch künftig.Mich erschrecken die neuen Auslastungszahlen
des Theaters Heilbronn sehr. Und ich sehe keine Ansatzpunkte zu einer
Trendwende. Mich erschrecken auch die Horrormeldungen über die
Besucherzahlen in diesen Tagen.
Sie und Ihre Kollegen
sollte das alles auch erschrecken - und zu einem Handeln treiben, das
eine Trendwende herbeiführt, damit das Theater Heilbronn wieder
erfolgreich für seine Zuschauer arbeitet.
Alles Gute für Ihre und des Theaters Zukunft.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Dieter Ueckert
Chefredakteur
Echo am Sonntag / Echo am Mittwoch
21. November 2005
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