Klaus Wagners vielfältige
Überraschungen
dauern an
Von Jürgen Dieter Ueckert
Während andere Städte in der Bundesrepublik Deutschland in den achtziger Jahren daran gingen, ihre Theaterbauten zu renovieren, selbst wenn sie nach dem Zweiten Weltkrieg erbaut worden waren, leistete sich die Stadt Heilbronn den Luxus, ein neues Theater für mehr als 60 Millionen Mark zu erstellen. Während der zeit des Wiederaufbaus in der Bundesrepublik der fünfziger und sechziger Jahre gab es für die auch damals schon reiche Stadt Heilbronn andere Projekte, die es zu verwirklichen galt. Das Theater fristete im Provisorium des Gewerkschaftshauses sein Dasein. Der Streit um einen Neubau verkam zur Lokalposse, zum alljährlich wiederkehrenden Zankapfel für Rathauspolitiker und solche, die es werden wollten.
Während andere Städte in der Bundesrepublik Deutschland in den achtziger Jahren daran gingen, ihre Theaterbauten zu renovieren, selbst wenn sie nach dem Zweiten Weltkrieg erbaut worden waren, leistete sich die Stadt Heilbronn den Luxus, ein neues Theater für mehr als 60 Millionen Mark zu erstellen. Während der zeit des Wiederaufbaus in der Bundesrepublik der fünfziger und sechziger Jahre gab es für die auch damals schon reiche Stadt Heilbronn andere Projekte, die es zu verwirklichen galt. Das Theater fristete im Provisorium des Gewerkschaftshauses sein Dasein. Der Streit um einen Neubau verkam zur Lokalposse, zum alljährlich wiederkehrenden Zankapfel für Rathauspolitiker und solche, die es werden wollten.
Als
es dann kaum mehr etwas zu sagen gab, viele engagierte Theaterverfechter
schon resigniert hatten, schlug der nicht gerade als Theaterfreund bekannte
damalige Oberbürgermeister Dr. Hans Hoffmann den gordischen Kulturknoten
Heilbronns mitten durch und versammelte die sich streitenden
Rathaus-Gruppierungen zu einem „Alles-oder-Nichts-Gespräch" - und das
Theater bekam seinen Neubau. Verwundert rieben sich nach diesem
kommunalpolitischen Hasardeur-Stück verbissene Gegner und ebensolche
Befürworter des Theaterneubaus die Augen und schwiegen.
Theater-Knoten
Nach
all den Querelen der vergangenen Jahre waren letztlich alle dem „Macher“ aus
der obersten Rathaus-Etage dankbar. Denn nun konnten sie sich ihre Hände in
Unschuld waschen – was immer auch da an neuer Kultur im Heilbronner
Theaterleben kommen mochte.
Mutig
war die Tat des Hans Hoffmann nicht. Er tat nur das Notwendige zum
richtigen Zeitpunkt - und das ist ja manchmal durchaus ein Indikator kluger
Politik. Zurückgegriffen wurde auf einen Plan, der schon längst ad acta gelegt
gehörte - die Theater-Pläne des Architekten Gerhard Graubner, modifiziert von
Thomas Münther, einem Mann, der seinerseits damals schon nicht mehr unter den
Lebenden weilte.
Heilbronns
Theaterbau wurde somit nicht unter Berücksichtigung neuester Erkenntnisse
gebaut, sondern aus Stilen zusammengeflickt, die teilweise doch recht heftig an
Baustile der frühen Jahre unserer Republik erinnern. Das große Haus am Berliner
Platz 1 ist bieder und konventionell. Die Studiobühne hat nicht den Raum, der
ihrem Charakter angemessen wäre. Sie ist nicht nur als Theaterraum ungeeignet,
sie ist auch häßlich, für Schauspieler und Zuschauer eine Zumutung. Aber man
spielt Theater in diesen Räumen - und dazu nicht das schlechteste in der
Bundesrepublik, gemessen an anderen Theatern dieser Größe mit einem
Hinterland, wie Heilbronn es besitzt.
Eine
der großen Sünden in Heilbronn war es bestimmt, den alten Fischer-Theater-Bau
am Berliner Platz, der die Allee städtebaulich angemessen abschloß, 1970
einfach zu sprengen. Ein Jugendstilbau, wie man ihn selten unter deutschen
Theaterbauten finden konnte. Aber am Ende der sechziger Jahre wollte Heilbronn
noch ganz im Schwange der Neubau-Euphorie der Nachkriegszeit ein großes
Dreispartenhaus besitzen und bespielen.
Neu
mußte alles in der neuen, zweiten Republik sein. Das Alte galt wenig.
Jugendstil war verpönt - bei vielen Kulturbeflissenen, auch bei Sozial- und
Christdemokraten. Einen Sinn für überkommene Werte hatten nur wenige. Man
dachte „fortschrittlich'' oder „progressiv". Jene, die tradierte
Werte vertreten hatten, galten den Kindern der neuen Republik als Väter
jener unheilvollen Gedanken, die Krieg, Tod und Verderbnis über Deutschland —
insbesondere auch die Stadt Heilbronn gebracht, hatten. Wenn in Deutschland
aufgeräumt wurde, dann eben gründlich. Notwendige Konsequenz dieses
Bewußtseins: alte und verschnörkelte, oder wie man damals teilweise zu sagen
pflegte, „kitschige Bauten" mußten der Spitzhacke zum Opfer fallen.
Provisorien
Deutschland
hatte nach dem Zweiten Weltkrieg kein Zentrum im kulturellen Bereich mehr.
Berlin war perdu. Viele jammerten den „schönen Zeiten" der ersten, der
Weimarer Republik und der Friedenszeit im Dritten Reich nach. Die großen Namen
der Theaterepoche bis spät in die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts
wurden verherrlicht. Max Reinhardt und Gustaf Gründgens waren die herausragenden
Vorbilder, die Berliner Theatervorkriegszeiten galten manchen als Richtwerte.
In diesem Geist sollten die Provinztheater neu erstehen, in einem
demokratischen Deutschland.
Walter
Bison, der erste Intendant nach dem Kriege am Theaterprovisorium, war als
Schauspielschüler im Dritten Reich auf gewachsen, lernte seine ersten großen
Rollen nach dem Kriege, als man verstärkt anzuknüpfen gedachte an die
Tradition, die in der Vorkriegs- Theaterlandschaft geboren wurde. Für ihn war
das Provisorium in der Gartenstraße im Gewerkschaftshaus ein ungeliebter
Schuppen. Er sah nicht die Möglichkeiten, aus den beengten Verhältnissen
heraus eine neue Qualität in der Provinz zu schaffen.
Er
wollte ein großes Dreispartenhaus, in dem die ganze Breite deutschen
Theaterlebens wiedererweckt wird. Eine durch den Krieg gejagte Generation
klagte verlorengegangene Güter ein. Der Lohn für die hohen Ziele war, daß
Bison nie das neue Haus bekam. Er mußte aus dem Provisorium in den Ruhestand
gehen. Die mühsame Arbeit für die Pläne an einem neuen Theater fruchtete bei
ihm insofern, als daß das Haus gebaut wurde. Die Ernte durfte ein anderer
einfahren.
Leicht
hatte es sich die Stadt Heilbronn nicht gemacht, als sie erstmals nach dem
Kriege ordnungsgemäß einen neuen Theaterintendanten zu bestellen hatte. Aus
über vierzig Bewerbungen wurde gesiebt und ausgesucht. Es blieben schließlich
fünf Kandidaten übrig. Und als es dann zur Wahl im Gemeinderat kam, waren es
nur noch drei. Der eine Kandidat stand der CDU nahe, der andere mehr der SPD,
und der dritte im Bunde war Wohl eher als Mitläufer gedacht.
Aber
der CDU-Mann hatte sich im Vorfeld unmöglich gemacht, der SPD-Mann konnte
keine Mehrheit auf sich vereinigen, weil so mancher SPD-Rat mehr dem dann
favorisierten Alternativkandidaten zuneigte, auf den sich die CDU und andere
geeinigt hatten. Und so wurde Klaus Wagner ganz überraschend, zu seinem
eigenen Verwundern, neuer Intendant des Stadttheaters Heilbronn, das 1979 noch
sein Dasein im Provisorium fristen mußte.
Aber
der neue Mann war nicht von Pappe. Das Verwirrtheater intellektueller Bilderstürmer
der siebziger Jahre hatte der freie Regisseur Wagner nicht mitgemacht und war
darob außen vor geblieben - hatte es nie zum Theaterleiter gebracht. Die Wende
zu Beginn der achtziger Jahre brachte es mit sich, daß die „Spinner" auch
im Stadttheaterbereich nicht mehr gefragt waren. Man wollte Leute, die eine
Garantie für erfolgreiches Theater boten.
Ärmel
hoch
Klaus
Wagner krempelte die Ärmel hoch und nahm seine Chance wahr. Er forderte für das
Provisorium gleich eine zweite Spielstätte, denn der Übergang ins neue Haus
könne nur gemacht werden, wenn das Heilbronner Theater aus der Begrenztheit des
Gewerkschaftshauses herauskäme. Das wurde ihm auch anstandslos von der Stadt
bewilligt. Wagner bekam seine zweite Spielstätte in der ehemaligen
Weingärtnergenossenschaft. Dort zeigte er dann dem staunenden Publikum das
wohl lebendigste Theater, das Heilbronn je gesehen hatte.
Es
begann eine Zeit des Übergangs, die ja bekanntlich oftmals zu den fruchtbarsten
in der Geschichte zählen. Das neue Große .ist noch nicht da, das Alte und
Überkommene ist nahezu überwunden. Phantasie kann sich ausleben. Jene
bürgerlichen Kreise, die vorher das Gewerkschaftshaus als unannehmbaren
Theaterspielort mieden, konnten sich nun im Theater wohlfühlen. Es war alles
neu und anders - etwas Experimentierfreudiges und doch absehbar Begrenztes.
Man nahm die Unwirtlichkeiten, die Begegnungen in Kauf. Klaus Wagner hatte die
Heilbronner überzeugt, daß seine Vorstellungen vom Theatermachen
richtungweisend für die Zukunft sind.
Am
16. November 1982 war es dann endgültig vorbei mit den Provisorien. Heilbronn
konnte sein neues Haus am Berliner Platz einweihen. „My Fair Lady“ stand auf
dem Spielplan zur Eröffnung. Walter Bison hatte seinem Nachfolger empfohlen,
doch Lessings „Nathan der Weise" zu spielen. Da brauche er die Technik am
Anfang nicht allzu stark zu strapazieren. Und das Stück passe mit seinen
aufgeklärten Versöhnungsgedanken zur Einweihung eines neuen Theaters nach dem
Kriege.
Aber
Klaus Wagner gab den Wünschen des damaligen Stadtvaters nach, der sich eine
leichte Kost gewünscht haben soll. Das mag Legende sein. Denn die Musical-Tradition,
die Wagner zu begründen hoffte, war mit diesem amerikanischen Erfolgsstück
der sechziger Jahre auch so ganz nach dem Geschmack des Intendanten. Den
Ratschlag seines Vorgängers schlug er bewußt in den Wind, denn er wollte gemäß
seinem Naturell kein vorsichtiger Theater-Mensch wie Bison sein. Wagner wollte
zeigen, was sein neues Haus an Technik zu bieten hat. Und-so ließ er alle Hebe!
des neuen Theaters in Bewegung setzen. Auch wenn nicht alles in der Technik
gleich gelang - der Erfolg gab ihm Recht.
Berliner
Platz 1
Das
zweite Stück, die Verbeugung vor dem Bildungsbürgertum Heilbronns, wurde dann
auch gleich der große Reinfall. Wagner inszenierte Goethes „Faust I" -
mehr nebenher. Denn das Musical hatte als Eröffnungsproduktion den größeren
Arbeitsanteil von ihm gefordert. So konnte sich das Heilbronner Theater gleich
zu Beginn von zwei Seiten zeigen.
Die
Probleme, die Walter Bison vorausgesagt hatte, holten den Intendanten Klaus
Wagner sogleich ein. Mit der Technik klappte es hinten und vorne nicht. Von so
manchem Sitzplatz auf dem Rang war die Bühne nicht voll einsehbar und ist es
bis heute nicht. Die Bühnentechnik soll bis zum heutigen Tag nicht den
Erfordernissen des alltäglichen Theaterlebens angepaßt sein. Bei der Planung
waren eben keine Theaterleute gefragt worden. Architekten und städtische Beamte
trumpften als entscheidende Planungsträger auf. Darunter haben die
Theaterleute bis zum heutigen Tage zu leiden.
Klaus
Wagner stolperte mit seiner Truppe ins neue Haus hinein. Gleich nach der ersten
Premiere gab es einen öffentlich ausgetragenen, lautstarken Krach mit dem
musikalischen Leiter des Hauses, der auch am Ende der ersten Spielzeit das
Theater verließ. Der Wechsel unter dem Ensemble, war, gemessen an anderen
Häusern, beträchtlich.
Aber
all das focht Klaus Wagner nicht an. Er gab sich nüchtern kalkulierend eine
Frist, das neue Haus in den Griff zu bekommen. Er leugnete vor sich und anderen
nicht die Schwächen des Hauses, vor allem die technischen. Außerdem wollte er
bewußt ein Provinztheater machen, das breite Bevölkerungsschichten anspricht.
Die
Zeit gab dem Intendanten Recht. Mit deutschen Erst- und Uraufführungen
brachte er sein Haus auch überregional ins Gespräch, Die Inszenierungen am
Heilbronner Theater waren nicht ausgesprochen mutig, aber auch nicht bieder
konventionell. Man gab mit den vorhandenen Mitteln das Beste, was man zu geben
hatte. Schauspieler waren und sind nahezu rund um die Uhr beschäftigt.
Das
Musical nahm einen ungeahnten Aufschwung. Prominente Namen versüßen den
Heilbronnern ihren Theaterbesuch. Fünf Jahre Arbeit im neuen Haus am Berliner
Platz haben mit sich gebracht, daß nahezu 200 000 Menschen pro Spielzeit ins
Heilbronner Theater gehen, also in den vergangenen fünf Jahren rund eine
Million Theaterbesucher gezählt werden konnten. Mit dieser Habenseite kann
Klaus Wagner wuchern.
Erfolg:
normal
Aber
er sieht sein Haus jetzt nur auf den Normalstand gebracht. Heilbronn hat ein
Theater - wie andere Städte in der Provinz auch. Darüber hinaus: finanziell
steht es bestens da. Einspielergebnisse wie in Heilbronn werden in anderen
Theatern der Republik mit Neid betrachtet.
Stolpersteine
gibt es aber trotzdem mehr als genug. Die leidige Affäre um das dreizehnte
Monatsgehalt des Intendanten hat in der ersten Hälfte dieses Jahres die
Gemüter in Heilbronn erhitzt. Klaus Wagner hatte gefordert, was an anderen
Häusern Intendanten selbstverständlich zugestanden wird. In der Stadt Heilbronn
macht man Geldgeschäfte mit über 100.000 Mark Jahresgehalt möglichst unter
Ausschluss der breiten Öffentlichkeit aus - wie in anderen Städten auch.
Freunde hat sich das Theater durch diese Affäre bestimmt nicht gemacht - im
Gegenteil. Klaus Wagner dürfte in breite Bevölkerungsschichten viel von seinem
Erfolgsnimbus eingebüßt haben.
Aber
der Streit zwischen Wagner und der Stadt ist beigelegt, dem Heilbronner
Stadttheater bleibt der Intendant erhalten und das Haus am Berliner Platz 1
kann auf eine erfolgreiche, Arbeit zurückblicken. Ein Intendant nach Klaus
Wagner übernimmt ein Theater, das an die Wagner-Erfolge anknüpfen könnte.
Aber
soweit ist es noch nicht. Die Spielzeit 1987/88 beginn gerade, und es ist zu
erwarten, daß gerade jetzt die Anstrengungen des Intendanten noch größer sein
werden. Denn er will und muß der Stadt und ihrem Gemeinderat zeigen, daß er
sein Geld wert ist. Daß er es bisher war, das hat in der
„Krämerseelen"-Stadt Heilbronn niemand ernsthaft bestritten.
Sonderbeilage NECKAR-EXPRESS zu
„Fünf Jahre Theater Heilbronn am Berliner
Platz“
Donnerstag, 24. September 1987
Nummer 39 / Seite 13 bis 24
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