Freitag, 28. März 2014

Stadttheater Heilbronn - Fünf Jahre im Neubau (1987)

Fünf Jahre Spektakel vor und hinter der Bühne


Klaus Wagners vielfältige
Überraschungen dauern an

 Von Jürgen Dieter Ueckert

Während andere Städte in der Bundesrepublik Deutschland in den achtziger Jahren daran gingen, ihre Theaterbauten zu renovieren, selbst wenn sie nach dem Zweiten Weltkrieg erbaut worden waren, leistete sich die Stadt Heilbronn den Luxus, ein neues Theater für mehr als 60 Millionen Mark zu erstellen. Während der zeit des Wiederaufbaus in der Bundes­republik der fünfziger und sechziger Jahre gab es für die auch damals schon reiche Stadt Heilbronn andere Projekte, die es zu verwirklichen galt. Das Theater fristete im Provisorium des Gewerkschaftshauses sein Dasein. Der Streit um einen Neubau verkam zur Lokal­posse, zum alljährlich wieder­kehrenden Zankapfel für Rathauspolitiker und solche, die es werden wollten.

Als es dann kaum mehr et­was zu sagen gab, viele enga­gierte Theaterverfechter schon resigniert hatten, schlug der nicht gerade als Theaterfreund bekannte damalige Oberbür­germeister Dr. Hans Hoffmann den gordischen Kulturknoten Heilbronns mitten durch und versammelte die sich streiten­den Rathaus-Gruppierungen zu einem „Alles-oder-Nichts-Gespräch" - und das Theater be­kam seinen Neubau. Verwun­dert rieben sich nach diesem kommunalpolitischen Hasar­deur-Stück verbissene Gegner und ebensolche Befürworter des Theaterneubaus die Augen und schwiegen.

Theater-Knoten

Nach all den Querelen der vergangenen Jahre waren letztlich alle dem „Macher“ aus der obersten Rathaus-Etage dankbar. Denn nun konnten sie sich ihre Hände in Unschuld waschen – was immer auch da an neuer Kultur im Heilbronner Theaterleben kommen mochte.
Mutig war die Tat des Hans Hoffmann nicht.  Er tat nur das Notwendige zum richtigen Zeitpunkt - und das ist ja manchmal durchaus ein Indikator kluger Politik. Zurückgegriffen wurde auf einen Plan, der schon längst ad acta gelegt gehörte - die Theater-Pläne des Architekten Gerhard Graubner, modifiziert von Tho­mas Münther, einem Mann, der seinerseits damals schon nicht mehr unter den Lebenden weilte.

Heilbronns Theaterbau wurde somit nicht unter Be­rücksichtigung neuester Er­kenntnisse gebaut, sondern aus Stilen zusammengeflickt, die teilweise doch recht heftig an Baustile der frühen Jahre unserer Republik erinnern. Das große Haus am Berliner Platz 1 ist bieder und konventionell. Die Studiobühne hat nicht den Raum, der ihrem Charakter an­gemessen wäre. Sie ist nicht nur als Theaterraum ungeei­gnet, sie ist auch häßlich, für Schauspieler und Zuschauer eine Zumutung. Aber man spielt Theater in diesen Räu­men - und dazu nicht das schlechteste in der Bundesre­publik, gemessen an anderen Theatern dieser Größe mit ei­nem Hinterland, wie Heilbronn es besitzt.

Eine der großen Sünden in Heilbronn war es bestimmt, den alten Fischer-Theater-Bau am Berliner Platz, der die Allee städtebaulich angemessen ab­schloß, 1970 einfach zu spren­gen. Ein Jugendstilbau, wie man ihn selten unter deutschen Theaterbauten finden konnte. Aber am Ende der sechziger Jahre wollte Heilbronn noch ganz im Schwange der Neu­bau-Euphorie der Nachkriegs­zeit ein großes Dreispartenhaus besitzen und bespielen.

Neu mußte alles in der neuen, zwei­ten Republik sein. Das Alte galt wenig. Jugendstil war verpönt - bei vielen Kulturbeflissenen, auch bei Sozial- und Christde­mokraten. Einen Sinn für über­kommene Werte hatten nur we­nige. Man dachte „fortschritt­lich'' oder „progressiv". Jene, die tradierte Werte vertreten hatten, galten den Kindern der neuen Republik als Väter jener unheilvollen Gedanken, die Krieg, Tod und Verderbnis über Deutschland — insbeson­dere auch die Stadt Heilbronn gebracht, hatten. Wenn in Deutschland aufgeräumt wurde, dann eben gründlich. Notwendige Konsequenz die­ses Bewußtseins: alte und ver­schnörkelte, oder wie man da­mals teilweise zu sagen pflegte, „kitschige Bauten" mußten der Spitzhacke zum Opfer fallen.

Provisorien

Deutschland hatte nach dem Zweiten Weltkrieg kein Zen­trum im kulturellen Bereich mehr. Berlin war perdu. Viele jammerten den „schönen Zei­ten" der ersten, der Weimarer Republik und der Friedenszeit im Dritten Reich nach. Die gro­ßen Namen der Theaterepoche bis spät in die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wur­den verherrlicht. Max Reinhardt und Gustaf Gründgens waren die heraus­ragenden Vorbilder, die Berli­ner Theatervorkriegszeiten gal­ten manchen als Richtwerte. In diesem Geist sollten die Pro­vinztheater neu erstehen, in ei­nem demokratischen Deutsch­land.

Walter Bison, der erste Inten­dant nach dem Kriege am Theaterprovisorium, war als Schauspielschüler im Dritten Reich auf gewachsen, lernte seine ersten großen Rollen nach dem Kriege, als man verstärkt anzuknüpfen gedachte an die Tradition, die in der Vorkriegs- Theaterlandschaft geboren wurde. Für ihn war das Proviso­rium in der Gartenstraße im Gewerkschaftshaus ein unge­liebter Schuppen. Er sah nicht die Möglichkeiten, aus den be­engten Verhältnissen heraus eine neue Qualität in der Pro­vinz zu schaffen.

Er wollte ein großes Dreispartenhaus, in dem die ganze Breite deutschen Theaterlebens wiedererweckt wird. Eine durch den Krieg ge­jagte Generation klagte verlo­rengegangene Güter ein. Der Lohn für die hohen Ziele war, daß Bison nie das neue Haus bekam. Er mußte aus dem Pro­visorium in den Ruhestand ge­hen. Die mühsame Arbeit für die Pläne an einem neuen Theater fruchtete bei ihm in­sofern, als daß das Haus gebaut wurde. Die Ernte durfte ein an­derer einfahren.

Leicht hatte es sich die Stadt Heilbronn nicht gemacht, als sie erstmals nach dem Kriege ordnungsgemäß einen neuen Theaterintendanten zu bestellen hatte. Aus über vierzig Be­werbungen wurde gesiebt und ausgesucht. Es blieben schließ­lich fünf Kandidaten übrig. Und als es dann zur Wahl im Ge­meinderat kam, waren es nur noch drei. Der eine Kandidat stand der CDU nahe, der an­dere mehr der SPD, und der dritte im Bunde war Wohl eher als Mitläufer gedacht.

Aber der CDU-Mann hatte sich im Vor­feld unmöglich gemacht, der SPD-Mann konnte keine Mehr­heit auf sich vereinigen, weil so mancher SPD-Rat mehr dem dann favorisierten Alternativ­kandidaten zuneigte, auf den sich die CDU und andere geei­nigt hatten. Und so wurde Klaus Wagner ganz überra­schend, zu seinem eigenen Verwundern, neuer Intendant des Stadttheaters Heilbronn, das 1979 noch sein Dasein im Provisorium fristen mußte.

Aber der neue Mann war nicht von Pappe. Das Verwirr­theater intellektueller Bilder­stürmer der siebziger Jahre hatte der freie Regisseur Wag­ner nicht mitgemacht und war darob außen vor geblieben - hatte es nie zum Theaterleiter gebracht. Die Wende zu Beginn der achtziger Jahre brachte es mit sich, daß die „Spinner" auch im Stadttheaterbereich nicht mehr gefragt waren. Man wollte Leute, die eine Garantie für erfolgreiches Theater boten.

Ärmel hoch

Klaus Wagner krempelte die Ärmel hoch und nahm seine Chance wahr. Er forderte für das Provisorium gleich eine zweite Spielstätte, denn der Übergang ins neue Haus könne nur gemacht werden, wenn das Heilbronner Theater aus der Begrenztheit des Gewerkschaftshauses herauskäme. Das wurde ihm auch anstandslos von der Stadt bewilligt. Wagner bekam seine zweite Spielstätte in der ehemaligen Weingärtnergenossenschaft. Dort zeigte er dann dem staunenden Publi­kum das wohl lebendigste Theater, das Heilbronn je gese­hen hatte.

Es begann eine Zeit des Übergangs, die ja bekannt­lich oftmals zu den fruchtbar­sten in der Geschichte zählen. Das neue Große .ist noch nicht da, das Alte und Überkommene ist nahezu überwunden. Phan­tasie kann sich ausleben. Jene bürgerlichen Kreise, die vorher das Gewerkschaftshaus als un­annehmbaren Theaterspielort mieden, konnten sich nun im Theater wohlfühlen. Es war al­les neu und anders - etwas Ex­perimentierfreudiges und doch absehbar Begrenztes. Man nahm die Unwirtlichkeiten, die Begegnungen in Kauf. Klaus Wagner hatte die Heilbronner überzeugt, daß seine Vorstel­lungen vom Theatermachen richtungweisend für die Zu­kunft sind.

Am 16. November 1982 war es dann endgültig vorbei mit den Provisorien. Heilbronn konnte sein neues Haus am Berliner Platz einweihen. „My Fair Lady“ stand auf dem Spiel­plan zur Eröffnung. Walter Bi­son hatte seinem Nachfolger empfohlen, doch Lessings „Nathan der Weise" zu spielen. Da brauche er die Technik am Anfang nicht allzu stark zu stra­pazieren. Und das Stück passe mit seinen aufgeklärten Versöhnungsgedanken zur Ein­weihung eines neuen Theaters nach dem Kriege.

Aber Klaus Wagner gab den Wünschen des damaligen Stadtvaters nach, der sich eine leichte Kost ge­wünscht haben soll. Das mag Legende sein. Denn die Musi­cal-Tradition, die Wagner zu begründen hoffte, war mit die­sem amerikanischen Erfolgs­stück der sechziger Jahre auch so ganz nach dem Geschmack des Intendanten. Den Ratschlag seines Vorgängers schlug er bewußt in den Wind, denn er wollte gemäß seinem Naturell kein vorsichtiger Theater-Mensch wie Bison sein. Wagner wollte zeigen, was sein neues Haus an Technik zu bieten hat. Und-so ließ er alle Hebe! des neuen Theaters in Bewegung setzen. Auch wenn nicht alles in der Technik gleich gelang - der Erfolg gab ihm Recht.

Berliner Platz 1

Das zweite Stück, die Verbeu­gung vor dem Bildungsbürger­tum Heilbronns, wurde dann auch gleich der große Reinfall. Wagner inszenierte Goethes „Faust I" - mehr nebenher. Denn das Musical hatte als Eröffnungsproduktion den größe­ren Arbeitsanteil von ihm ge­fordert. So konnte sich das Heilbronner Theater gleich zu Beginn von zwei Seiten zeigen.

Die Probleme, die Walter Bi­son vorausgesagt hatte, holten den Intendanten Klaus Wagner sogleich ein. Mit der Technik klappte es hinten und vorne nicht. Von so manchem Sitz­platz auf dem Rang war die Bühne nicht voll einsehbar und ist es bis heute nicht. Die Büh­nentechnik soll bis zum heuti­gen Tag nicht den Erfordernis­sen des alltäglichen Theaterle­bens angepaßt sein. Bei der Planung waren eben keine Theaterleute gefragt worden. Architekten und städtische Be­amte trumpften als entschei­dende Planungsträger auf. Dar­unter haben die Theaterleute bis zum heutigen Tage zu lei­den.

Klaus Wagner stolperte mit seiner Truppe ins neue Haus hinein. Gleich nach der ersten Premiere gab es einen öffent­lich ausgetragenen, lautstarken Krach mit dem musikalischen Leiter des Hauses, der auch am Ende der ersten Spielzeit das Theater verließ. Der Wechsel unter dem Ensemble, war, ge­messen an anderen Häusern, beträchtlich.

Aber all das focht Klaus Wag­ner nicht an. Er gab sich nüch­tern kalkulierend eine Frist, das neue Haus in den Griff zu bekommen. Er leugnete vor sich und anderen nicht die Schwächen des Hauses, vor al­lem die technischen. Außerdem wollte er bewußt ein Provinztheater machen, das breite Be­völkerungsschichten anspricht.

Die Zeit gab dem Intendan­ten Recht. Mit deutschen Erst­- und Uraufführungen brachte er sein Haus auch überregional ins Gespräch, Die Inszenierun­gen am Heilbronner Theater waren nicht ausgesprochen mutig, aber auch nicht bieder konventionell. Man gab mit den vorhandenen Mitteln das Beste, was man zu geben hatte. Schauspieler waren und sind nahezu rund um die Uhr be­schäftigt.
Das Musical nahm einen ungeahnten Auf­schwung. Prominente Namen versüßen den Heilbronnern ih­ren Theaterbesuch. Fünf Jahre Arbeit im neuen Haus am Berli­ner Platz haben mit sich ge­bracht, daß nahezu 200 000 Menschen pro Spielzeit ins Heilbronner Theater gehen, also in den vergangenen fünf Jahren rund eine Million Thea­terbesucher gezählt werden konnten. Mit dieser Habenseite kann Klaus Wagner wuchern.

Erfolg: normal

Aber er sieht sein Haus jetzt nur auf den Normalstand ge­bracht. Heilbronn hat ein Thea­ter - wie andere Städte in der Provinz auch. Darüber hinaus: finanziell steht es bestens da. Einspielergebnisse wie in Heil­bronn werden in anderen Thea­tern der Republik mit Neid be­trachtet.

Stolpersteine gibt es aber trotzdem mehr als genug. Die leidige Affäre um das drei­zehnte Monatsgehalt des Inten­danten hat in der ersten Hälfte dieses Jahres die Gemüter in Heilbronn erhitzt. Klaus Wagner hatte gefordert, was an an­deren Häusern Intendanten selbstverständlich zugestanden wird. In der Stadt Heilbronn macht man Geldgeschäfte mit über 100.000 Mark Jahresgehalt möglichst unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit aus - wie in anderen Städten auch. Freunde hat sich das Theater durch diese Affäre bestimmt nicht gemacht - im Gegenteil. Klaus Wagner dürfte in breite Bevölkerungsschichten viel von seinem Erfolgsnimbus ein­gebüßt haben.

Aber der Streit zwischen Wagner und der Stadt ist beige­legt, dem Heilbronner Stadttheater bleibt der Intendant er­halten und das Haus am Berli­ner Platz 1 kann auf eine er­folgreiche, Arbeit zurückblicken. Ein Intendant nach Klaus Wagner übernimmt ein Thea­ter, das an die Wagner-Erfolge anknüpfen könnte.

Aber soweit ist es noch nicht. Die Spielzeit 1987/88 beginn gerade, und es ist zu erwarten, daß gerade jetzt die Anstren­gungen des Intendanten noch größer sein werden. Denn er will und muß der Stadt und ihrem Gemeinderat zeigen, daß er sein Geld wert ist. Daß er es bisher war, das hat in der „Krämerseelen"-Stadt Heilbronn niemand ernsthaft bestritten.

Sonderbeilage NECKAR-EXPRESS zu
„Fünf Jahre Theater Heilbronn am Berliner Platz“
Donnerstag, 24. September 1987
Nummer 39 / Seite 13 bis 24





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