Donnerstag, 20. März 2014

Stadttheater Heilbronn - Gespräch mit einer Schauspielerin ... und der Brief (2006)

Ein GESPRÄCH mit einer Schauspielerin
des Stadttheaters Heilbronn - und der Brief dazu
Wenn Du etwas sagst -
und Dein Gegenüber
versteht Dich nicht ...

Von Jürgen Dieter Ueckert

Irgendwie muss ich wohl bei unserem kleinen Gespräch nach der letzten Premiere in den Kammerspielen mich falsch ausgedrückt haben – und damit erklärlicherweise missverstanden worden sein.

Nach dem alten Motto des Kirchenvaters Augustinus: „Wenn du etwas sagst und dein Gegenüber versteht dich nicht, hast du nichts gesagt.“ In diesem Sinne muss ich wohl mich ausgelassen haben.Sie erinnern sich - wir sprachen über Seuchen, Sex – aufgehängt an dem Satz von Gloria Fürstin von Thurn und Taxis, dass „Neger gerne schnackseln“.

Da ich die Fürstin durch Bekannte ein wenig kenne, weiß ich, dass die Pop-Fürstin als liberal-bayrisches Urgestein in ihrer unbestrittenen Weltläufigkeit diese umstrittene und durchaus falsch zu verstehende Bemerkung nicht mit rassistischem Background gemacht hat.

Ich glaube, sie hatte eher im Hinterkopf, dass die Menschen in Afrika vielfach lebenszugewandter und weniger lustfeindlich sind als wir in Europa oder den USA – mit unserer Sittengeschichte.Wenn schon „schnackseln“, dann machen das heute wir Weißen – nehme ich mal an - genauso gern, wie die Gelben, Roten oder andersfarbige Menschen.

Unser Hintergrundthema bei unserem Small Talk war allerdings ernsthafter: es ging um Seuchen, speziell um Geschlechtskrankheiten – und ihre Bekämpfung.Medizinhistoriker haben schon lange nachgewiesen, dass zum Beispiel das Gebot, jungfräulich in die Ehe zu gehen, nicht in erster Linie kirchliches Gebot mit moralischen Gründen untermauert war, sondern das dieses Gebot aus der Einsicht in die natürliche Notwendigkeit gepflegt wurde.

Europa war seit dem Mittelalter durchseucht von Syphilis und anderen Geschlechtskrankheiten (siehe Goethes Verhalten der Ängstlichkeit und das anderer Geistesgrößen) – bis ins 20 Jahrhundert hinein. Siehe auch Ibsens „Gespenster“ als Beispiel auf dem Theater.Diese Krankheiten konnten nicht durch irgendeine Arznei geheilt werden.

Bauern legten zum Beispiel Wert darauf, eine Jungfrau zu heiraten, weil damit nahezu ausgeschlossen war, dass Geschlechtskrankheiten ihr Wirtschaften einschränken oder behindern. Denn auf einem Hof wurde jede Arbeitskraft benötigt. Krankheit war immer lebensbedrohend für die gesamte Familie. Jede Art von außerehelichem Geschlechtsverkehr wurde strengstens geahndet, weil damit großen gesundheitlichen Gefahren für die Familie Tür und Tor geöffnet wurden.

Im 19. Jahrhundert wurde vor allem von bürgerlichen Kreisen dann folgerichtig die Zweipersonenehe zu dem gemacht, was sie heute ist. Proleten waren damals meist unverheiratet, weil das zu teuer für sie war. Sie lebten halt ohne kirchliche Trauung – in den Industriebezirken der Städte Europas (siehe Charles Dickens, Emile Zola, etc.). Im 20. Jahrhundert jedoch wurde auch in Arbeiterschichten die Zweipersonen-Ehe zur Regel. Fremdgehen war damit in der ersten Hälfte der 20. Jahrhunderts gesellschaftlich noch stark geächtet, weil die oben beschriebenen Gefahren nicht medizinisch gebannt waren.

Erst mit dem medizinischen Fortschritt lockerten sich auch die Sitten – und nur durch ihn. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde zum Beispiel von vielen Menschen der Tripper noch als eine Art „Schnupfen“ unter den Geschlechtskrankheiten dargestellt.Erst mit dem Aufkommen von Aids wurde der Schutz bei promiskuitivem Verhalten wieder praktiziert.

In vielen Teilen Afrikas jedoch gab und gibt es die Tradition der Zweipersonen-Ehe nicht. Man lebt in anderen sozialen Verhältnissen. Familie ist mehr als nur Vater und Mutter – sie ist oft Dorfgemeinschaft, Sippe, etc. Vater und Mutter spielen eine untergeordnete soziale Rolle.Auch die Kolonialisierung und der Versuch der Christianisierung änderten nicht viel daran in Afrika. Aber die Einführung des westlichen Wirtschaftssystems veränderte den Kontinent – jetzt auf einmal wurde die Zweipersonenehe zur Regel – in den Großstädten und den Slums.

Die traditionellen Dorfgemeinschaftsformen werden nach und nach zerstört. Aber das Sexualverhalten wurde nicht gleichzeitig verändert. Promiskuität ist weiterhin keine gesellschaftlich geächtete Verhaltensweise, sondern „normal“, so wie sie es auch in den traditionellen Sozialisationsformen war.

Und damit konnte Aids seinen Siegeszug in Afrika antreten. Nicht weil die Afrikaner „gern viel schnackseln“, sondern weil sie andere gesellschaftliche Traditionen haben. Eben keine europäischen. Und keine vom Kapitalismus bestimmt – vor allem dem puritanischer angelsächsischer Prägung.

Hinzu kommt auch noch ein Notstand in der Bildung. Hier helfen die besten Aufklärungskampagnen oft nichts. Ob in Afrika oder bei uns. Da spielen Traditionen, auch was die Beurteilung von Krankheiten anbetrifft, eine große Rolle.Aber auch wir in unserer Redaktion fragen uns oft, welche Art von Aufklärung wir noch bieten sollen – es ist alles bekannt und eigentlich auch schon alles über das Thema gesagt. Und trotzdem verhalten sich die Menschen so, als ob sie allzu wenig oder gar nichts über das Thema wüssten.Wir merken es immer wieder, wenn wir mit den Gesundheitsämtern und den Fachärzten bei Recherchen für unsere Artikel sprechen.

Ich wollte Ihnen meine Argumente nochmals deutlich darlegen, weil beim Small Talk doch vieles an Sachlichkeit und Klarheit verloren geht – und an Deutlichkeit zu wünschen übrig lässt. Ich hatte bei den Einwürfen von Ihnen und auch der Pressesprecherin des Theaters manchmal den Eindruck, sie würden mich in einer rassistischen Ecke vermuten. Dem jedoch muss ich deutlich und entschieden entgegentreten.

Ich gebe zu, ein Anhänger der traditionellen Demokratie sein, wie sie in angelsächsischen Ländern gepflegt wird.Mit dem dort gepflegten Pragmatismus kommt man oft weiter als mit unserer von Ideologien durchseuchten Politik in Deutschland. Das ist bei Neuerungen und Reformen unter Beachtung wichtiger Traditionen oft sehr wichtig.

Mit Radikalität ist nichts geholfen. Das sehen Sie am besten daran, wie sich bei uns Rechts- und Linksradikalismus gegenseitig hochpeitschen – auch in Heilbronn. Und wir Demokraten stehen oft hilflos dazwischen. Ich bin aber – aus Einsicht in die tragische deutsche Geschichte mit zwei schrecklichen Diktaturen – für eine starke und vor allem wehrhafte Demokratie. Wenn wir Demokraten verschiedener politischer Richtungen uns nicht rechtzeitig kraftvoll zur Wehr setzen, dann trennt uns irgendwann (wenn es zu spät ist) nur noch die Wand zwischen Gefängniszellen.

Jetzt hoffe ich, Sie nicht mit meinem Schreiben allzu stark belästigt zu haben und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit, die Sie mir geschenkt haben.

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