Ein GESPRÄCH mit einer Schauspielerin
des Stadttheaters Heilbronn - und der Brief dazu
Wenn Du etwas sagst -
und Dein Gegenüber
versteht Dich nicht ...
Von Jürgen Dieter Ueckert
Irgendwie
muss ich wohl bei unserem kleinen Gespräch nach der letzten Premiere in
den Kammerspielen mich falsch ausgedrückt haben – und damit
erklärlicherweise missverstanden worden sein.
Nach dem
alten Motto des Kirchenvaters Augustinus: „Wenn du etwas sagst und dein
Gegenüber versteht dich nicht, hast du nichts gesagt.“ In diesem Sinne
muss ich wohl mich ausgelassen haben.Sie erinnern sich - wir sprachen
über Seuchen, Sex – aufgehängt an dem Satz von Gloria Fürstin von Thurn
und Taxis, dass „Neger gerne schnackseln“.
Da ich die
Fürstin durch Bekannte ein wenig kenne, weiß ich, dass die Pop-Fürstin
als liberal-bayrisches Urgestein in ihrer unbestrittenen Weltläufigkeit
diese umstrittene und durchaus falsch zu verstehende Bemerkung nicht mit
rassistischem Background gemacht hat.
Ich glaube, sie
hatte eher im Hinterkopf, dass die Menschen in Afrika vielfach
lebenszugewandter und weniger lustfeindlich sind als wir in Europa oder
den USA – mit unserer Sittengeschichte.Wenn schon „schnackseln“, dann
machen das heute wir Weißen – nehme ich mal an - genauso gern, wie die
Gelben, Roten oder andersfarbige Menschen.
Unser
Hintergrundthema bei unserem Small Talk war allerdings ernsthafter: es
ging um Seuchen, speziell um Geschlechtskrankheiten – und ihre
Bekämpfung.Medizinhistoriker haben schon lange nachgewiesen, dass zum
Beispiel das Gebot, jungfräulich in die Ehe zu gehen, nicht in erster
Linie kirchliches Gebot mit moralischen Gründen untermauert war, sondern
das dieses Gebot aus der Einsicht in die natürliche Notwendigkeit
gepflegt wurde.
Europa war seit dem Mittelalter
durchseucht von Syphilis und anderen Geschlechtskrankheiten (siehe
Goethes Verhalten der Ängstlichkeit und das anderer Geistesgrößen) – bis
ins 20 Jahrhundert hinein. Siehe auch Ibsens „Gespenster“ als Beispiel
auf dem Theater.Diese Krankheiten konnten nicht durch irgendeine Arznei
geheilt werden.
Bauern legten zum Beispiel Wert darauf,
eine Jungfrau zu heiraten, weil damit nahezu ausgeschlossen war, dass
Geschlechtskrankheiten ihr Wirtschaften einschränken oder behindern.
Denn auf einem Hof wurde jede Arbeitskraft benötigt. Krankheit war immer
lebensbedrohend für die gesamte Familie. Jede Art von außerehelichem
Geschlechtsverkehr wurde strengstens geahndet, weil damit großen
gesundheitlichen Gefahren für die Familie Tür und Tor geöffnet wurden.
Im
19. Jahrhundert wurde vor allem von bürgerlichen Kreisen dann
folgerichtig die Zweipersonenehe zu dem gemacht, was sie heute ist.
Proleten waren damals meist unverheiratet, weil das zu teuer für sie
war. Sie lebten halt ohne kirchliche Trauung – in den Industriebezirken
der Städte Europas (siehe Charles Dickens, Emile Zola, etc.). Im 20.
Jahrhundert jedoch wurde auch in Arbeiterschichten die Zweipersonen-Ehe
zur Regel. Fremdgehen war damit in der ersten Hälfte der 20.
Jahrhunderts gesellschaftlich noch stark geächtet, weil die oben
beschriebenen Gefahren nicht medizinisch gebannt waren.
Erst
mit dem medizinischen Fortschritt lockerten sich auch die Sitten – und
nur durch ihn. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde zum
Beispiel von vielen Menschen der Tripper noch als eine Art „Schnupfen“
unter den Geschlechtskrankheiten dargestellt.Erst mit dem Aufkommen von
Aids wurde der Schutz bei promiskuitivem Verhalten wieder praktiziert.
In
vielen Teilen Afrikas jedoch gab und gibt es die Tradition der
Zweipersonen-Ehe nicht. Man lebt in anderen sozialen Verhältnissen.
Familie ist mehr als nur Vater und Mutter – sie ist oft
Dorfgemeinschaft, Sippe, etc. Vater und Mutter spielen eine
untergeordnete soziale Rolle.Auch die Kolonialisierung und der Versuch
der Christianisierung änderten nicht viel daran in Afrika. Aber die
Einführung des westlichen Wirtschaftssystems veränderte den Kontinent –
jetzt auf einmal wurde die Zweipersonenehe zur Regel – in den
Großstädten und den Slums.
Die traditionellen
Dorfgemeinschaftsformen werden nach und nach zerstört. Aber das
Sexualverhalten wurde nicht gleichzeitig verändert. Promiskuität ist
weiterhin keine gesellschaftlich geächtete Verhaltensweise, sondern
„normal“, so wie sie es auch in den traditionellen Sozialisationsformen
war.
Und damit konnte Aids seinen Siegeszug in Afrika
antreten. Nicht weil die Afrikaner „gern viel schnackseln“, sondern weil
sie andere gesellschaftliche Traditionen haben. Eben keine
europäischen. Und keine vom Kapitalismus bestimmt – vor allem dem
puritanischer angelsächsischer Prägung.
Hinzu kommt
auch noch ein Notstand in der Bildung. Hier helfen die besten
Aufklärungskampagnen oft nichts. Ob in Afrika oder bei uns. Da spielen
Traditionen, auch was die Beurteilung von Krankheiten anbetrifft, eine
große Rolle.Aber auch wir in unserer Redaktion fragen uns oft, welche
Art von Aufklärung wir noch bieten sollen – es ist alles bekannt und
eigentlich auch schon alles über das Thema gesagt. Und trotzdem
verhalten sich die Menschen so, als ob sie allzu wenig oder gar nichts
über das Thema wüssten.Wir merken es immer wieder, wenn wir mit den
Gesundheitsämtern und den Fachärzten bei Recherchen für unsere Artikel
sprechen.
Ich wollte Ihnen meine Argumente nochmals
deutlich darlegen, weil beim Small Talk doch vieles an Sachlichkeit und
Klarheit verloren geht – und an Deutlichkeit zu wünschen übrig lässt.
Ich hatte bei den Einwürfen von Ihnen und auch der Pressesprecherin des
Theaters manchmal den Eindruck, sie würden mich in einer rassistischen
Ecke vermuten. Dem jedoch muss ich deutlich und entschieden
entgegentreten.
Ich gebe zu, ein Anhänger der
traditionellen Demokratie sein, wie sie in angelsächsischen Ländern
gepflegt wird.Mit dem dort gepflegten Pragmatismus kommt man oft weiter
als mit unserer von Ideologien durchseuchten Politik in Deutschland. Das
ist bei Neuerungen und Reformen unter Beachtung wichtiger Traditionen
oft sehr wichtig.
Mit Radikalität ist nichts geholfen.
Das sehen Sie am besten daran, wie sich bei uns Rechts- und
Linksradikalismus gegenseitig hochpeitschen – auch in Heilbronn. Und wir
Demokraten stehen oft hilflos dazwischen. Ich bin aber – aus Einsicht
in die tragische deutsche Geschichte mit zwei schrecklichen Diktaturen –
für eine starke und vor allem wehrhafte Demokratie. Wenn wir Demokraten
verschiedener politischer Richtungen uns nicht rechtzeitig kraftvoll
zur Wehr setzen, dann trennt uns irgendwann (wenn es zu spät ist) nur
noch die Wand zwischen Gefängniszellen.
Jetzt hoffe
ich, Sie nicht mit meinem Schreiben allzu stark belästigt zu haben und
danke Ihnen für die Aufmerksamkeit, die Sie mir geschenkt haben.
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